Zu Besuch bei BAJlern

„Da gibt es drei Damen, die die Bibel studieren, indem sie hineinmalen. Die machen Kunst direkt in ihre Bibel.“

 

So ähnlich war der Tipp, den mir ein Kollege gab – und er war ganz begeistert. Ich müsse mir unbedingt mal das Video anschauen. Wkleiner Bible Art Banneras ich dann auch tat. Und gleich war mir klar: Die will ich mal besuchen. Das muss ich mir mal selbst ansehen. Was ich dann auch tat. Soviel habe ich vor meinem Besuch schon verstanden: Familie Becker hat eine ganz innovative Art der Beschäftigung mit Gottes Wort entdeckt. Eine Gruppe setzt sich zusammen, liest einen Bibelabschnitt, spricht darüber und betet – und dann werden die Farbstifte, Dekopapiere, Klebstoffe, Stempel, Schablonen und Sprühfarben ausgepackt. Das Wort oder den Gedanken, der einen angesprochen hat, gestaltet jeder als Schriftkunst. Und zwar direkt auf der Bibelseite. Ein kalter Wintersamstag ist es, als ich in Leonberg eintreffe. Die Beckers führen mich gleich in ihr Atelier unter dem Dach. In der Tat, ein regelrechtes Atelier ist das: großer Arbeitstisch in der Mitte. An der Wand Regale mit unzähligen Farben und Utensilien. Hier wird Kunst in großem Stil betrieben. Ich sehe auch gleich die verschiedenen Journaling- Bibeln, die verwendet werden: größere Bibelausgaben mit einem breiten freien Rand auf jeder Seite. Eigentlich wurden sie für schriftliche Notizen produziert, aber die Beckers gestalten die Seiten eben bunt.

Von den USA nach Baden-Württemberg

Die BeckersFür heute Nachmittag ist eine Journaling-Gruppe anberaumt. Vorher aber stelle ich meine neugierigen Fragen. Wie sind sie auf diese Idee gekommen? Tabea: „Über eine Facebook-Gruppe in den USA. Dort gab es das Video einer Bloggerin für ihre Freundinnen in der Gemeinde. Sie zeigte ihre Bibeln. Die habe ich angeschrieben, ihr gesagt, dass ich das ganz toll finde und so etwas auch anfangen möchte. Sie hat mich gleich ermutigt.“ Das war vor wenigen Monaten. Seitdem wurde das Video, das die drei Beckers – Mutter, Tochter und Schwiegertochter – produziert haben, schon über 2500 Mal aufgerufen. Dort zeigen sie, wie man seine Bibel gestalten kann und wie viele verschiedene Materialien und Techniken es dabei gibt. So begeistert die drei aber von den kreativen Möglichkeiten sind: Ihnen ist es wichtig, dass es um mehr geht als nur um Kunst und Kreativität.

Chris betont: „Das Material und die Techniken sollen nicht im Mittelpunkt stehen. Der Fokus liegt auf dem Wort Gottes. Das Wort Gottes soll nicht dazu führen, über das Material zu sprechen, sondern das Material soll dazu führen, dass wir über das Wort Gottes reden.“ Und noch etwas ist ihnen dabei wichtig: Sie möchten für die Bibel begeistern, aber nicht für irgendwelche besonderen Auslegungen. Tabea sagt: „Wir bringen keine spezielle Lehre, wir empfehlen keine bestimmte Gemeinde, wir vertreten keine Meinungen, sondern es soll nur um das Wort Gottes gehen. Es ist egal, ob jemand katholisch oder evangelisch ist – das richtet sich an alle. Selbst an Leute, die aus dem Buddhismus kommen und künstlerisch tätig sind – auch die können sich auf diese Weise mit der Bibel beschäftigen.“ Ich stutze: Buddhisten gestalten Seiten einer Bibel? Rebecca bestätigt: „In der amerikanischen Gruppe war eine Frau, die vom Buddhismus her kam und tatsächlich vorher noch nie in der Bibel gelesen hat. Eine Freundin hat ihr ihre Bibel gezeigt, und die Frau war ganz erstaunt und begeistert. Weil sie es so cool fand, hat sie begonnen, in der Bibel zu journalen – und ist dadurch Gott begegnet.“

„Journalen“ – dieses seltsame Tätigkeitswort fällt öfter. Es dient als Kurzbezeichnung für diese Art, sich mit Gottes Wort zu beschäftigen. Mittlerweile treffen weitere junge Frauen ein: Die Gruppe beginnt gleich. Ich bin – außer dem Hausherrn, der ab und zu Getränke serviert, – der einzige Mann und ich schaue auch nur zu. Bible Art Journaling scheint fest in Frauenhand zu sein, auch in den Blogs im Internet.

„Goodie Bags“ und Beerendessert

Goodie BagNun fangen wir an. Chris hat den Bibeltext für heute ausgesucht: Philipper 4, das ganze Kapitel. Sie liest ihn auf deutsch und Rebecca wiederholt ihn aus ihrer englischen Bibel. „Wow, da steckt viel drin“, murmeln einige. Chris spricht ein Gebet. Manche wiederholen einzelne Verse oder Stichworte – die haben sich schon in ihren Gedanken eingenistet. Doch bevor jede loslegt, erklärt Tabea noch die „Goodie Bags“. Sie stehen auf jedem Platz. Es sind sorgfältig gestaltete Papiertüten, die mit extra für heute ausgesuchten Materialien bestückt sind: gemusterte Deko-Kartons, Rollstempel, Aufkleber aus Papier und Kunststoff, Moosgummi-Buchstaben, Stifte. Selbst den gemusterten Rand der Tüte kann man benutzen, erklärt Tabea: Abgeschnitten ergibt er eine schöne Borte. Geburtstagsstimmung kommt auf, als jede ihr „Goodie Bag“ öffnet und den Inhalt untersucht: „I love it.“ „Hammer!“ „Krass!“ „Wie cool ist das denn!“ Und auch: „Können wir das tauschen?“ Bevor Tabea nun Tipps zur Gestaltung gibt – ihre tägliche Lektüre von Art-Journaling-Blogs lässt grüßen – serviert sie noch Desserts. Ebenso liebevoll zusammengestellt wie die Materialtüten. Jetzt wird es stiller. Die ersten wissen schon, welches Wort sie gestalten möchten. Andere überlegen noch. Bei Rebecca fällt mir auf, dass sie nicht gleich zu Farbflaschen oder Kalligrafiestift greift, sondern zuerst ein Lineal nimmt und die Sätze unterstreicht, die sie ansprechen – ganz konventionell.

„Mir ist wichtig, die Aussagen, die mich ansprechen, noch mal durch das Unterstreichen rauszuholen.“

Ich bin ermutigt: Das könnte ich als Mann und Nichtkünstler auch hinbekommen

Gestalten und behalten

Tabea stellt leise Hintergrundmusik an. Dann fotografiert sie uns und stellt das Foto und den Bibeltext bei Facebook ein. Der Termin war in der Facebook-Gruppe vorher bekanntgegeben worden. Andere Journalerinnen im Lande können sich jetzt gleichzeitig mit Philipper 4 befassen. Ob es funktionieren wird? Wird ihnen dieser Bibeltext wirklich nahekommen? Vorhin habe ich Beckers gefragt, welchen Unterschied diese Methode bei ihnen macht.

Darauf Tabea: „Ich habe das eigentlich nur deswegen angefangen, um Bibelworte besser behalten zu können. „Wichtig ist, dass man den Inhalt des Wortes versteht. Man will dann ja auch sein Leben danach ausrichten. Es geht mir nicht um den korrekten Wortlaut, sodass ich den Vers aufsagen könnte, sondern dass ich es begreife, auf mich ummünze und dann danach leben kann. Ich kann nicht alle Verse auswendig, die ich mal in meiner Bibel gestaltet habe, aber weiß den Inhalt, weil ich ihn ja richtig vor Augen habe.“

Und in der Journaling-Bibel ist die Begegnung mit dem Wort dann aufbewahrt.

„Wenn ich meine Bibel durchblättere, erinnere ich mich oft an die Situation, in der eine Seite entstanden ist“, erklärt Tabea. „‚Das war doch damals, als es dir so und so ging‘ – und dann erinnere ich mich auch daran, was Gott seitdem getan hat. Das ist dann ein echtes Erlebnis.“

Ich will es noch genauer wissen. Als Theologe interessiert mich, ob man auf diese künstlerische Weise Dinge in der Bibel wahrnimmt, die einem neu sind und die man beim bloßen Lesen so vielleicht nicht gefunden hätte.

Rebecca berichtet: „Ich entdecke Dinge am Bibelwort, die jemand anderes gestaltet hat. Zum Beispiel aus Psalm 34: ‚Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist‘. Als ich das in deiner Bibel“ – sie spricht ihre Mutter an – „gesehen habe, wie du da den Cup-Cake reingeklebt hast, da ist mir erst richtig aufgegangen: Gott will es mich wirklich schmecken lassen. Im Psalm geht es natürlich nicht um Kuchen. Aber die rosa Farbe und diese Bonbons, das hat mir das Schmecken erst richtig gezeigt.“

Während die fünf Künstlerinnen erste Striche in ihre Bibeln zeichnen, schaue ich mich im Atelier um. Einige haben ihre Materialmappe für unterwegs mitgebracht: umfunktionierte iPad-Taschen. Statt Elektronik enthalten sie Papiere, Kartons, Pinsel und Stifte, und natürlich sind sie außen bemalt.

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Bibelaustausch: Alle zeigen sich gegenseitig ihre Werke.
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Desserts, liebevoll angerichtet
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Eine große Auswahl an Stiften ist wichtig

Zugeklebter Bibeltext

Nun schleiche ich um die Frauen herum, schaue ihnen über die Schulter und fotografiere. Erstaunlich: Bekannte Verse des Kapitels wie „Freut euch im Herrn allewege“ kommen kaum vor. Viele konzentrieren sich auf die unbekannteren Sätze hinten im Kapitel, wo es um Paulus und sein materielles Auskommen geht. Während die einen begonnen haben, einen Vers abzuschreiben, fällt mir bei Chris auf, dass sie mit eigenen Worten formuliert hat, was ihr wichtig geworden ist. Eine Art Zusammenfassung kommt in ihre Bibel. Tabea nimmt sich eine Schablone und sprüht erst einmal türkise Grundfarbe über die Seite – farblich passend zu ihrem Nagellack. Sie benutzt tatsächlich nicht nur den Rand, sondern die ganze Bibelseite. Ist das nicht respektlos dem Wort Gottes gegenüber, wenn einzelne Worte übermalt werden?

„Manche erschrecken schon, wenn sie sehen, dass wir gelegentlich auch ganze Bibeltexte zukleben“, sagt Tabea.

Rebecca ergänzt: „Das ist ja meine spezielle Journaling-Bibel. Da darf ich mich austoben. Das ist mein Platz bei Gott, wo ich das machen darf.“ Jede hat also ihre eigentliche Lese-Bibel. Die Journaling-Bibel ist die Zweitbibel.

Tabea erzählt: „Ich habe einmal eine Bibel geerbt, die vorher 20 oder 30 Jahre im Keller lag und jetzt gestunken hat. Die wollte ich nicht zum Lesen haben, aber wegwerfen wollte ich sie auch nicht. Ich habe sie dann dazu benutzt, Blätter herauszutrennen und damit Karten zu gestalten.“

Und ich denke: Was ist würdeloser: Eine Bibel ungelesen im Keller verschimmeln zu lassen oder Bibeln zu „verarbeiten“ – aber dann werden sie benutzt und gelesen?

Augen zu vor der bösen Welt?

Und noch eine Frage stelle ich mir. Dieses ganze Basteln, Handarbeiten, dieser neue Trend zu Landliebe, Gartenlust und Wohnraumschmuck, die Hunderte von Magazinen, die dazu erscheinen: Ist das nicht Ausdruck einer Art Weltflucht? Rückzug in die behagliche Welt des Privaten, weil der Blick in die raue Welt draußen verstört? Gibt es nicht Trendforscher, die die Selbermach-Welle deshalb kritisch sehen? Aber Chris hat mir vorhin erzählt, wie sie die Bibel gerade in die ungemütliche Welt bringt. Sie arbeitet als Erzieherin und begegnet Kindern aus allen möglichen Hintergründen.

„Ich habe einmal einen Zehnjährigen zu mir nach Hause eingeladen, ihm meine Bibel gezeigt und ihn einfach malen lassen. Er war so interessiert! Er fragte: ‚Was hast du jetzt für eine Bibelstelle? Erklär mir das mal.‘ Und bald machte er selbst Vorschläge: ‚Du könntest doch jetzt noch dies dazu malen!‘ Er ist richtig darin aufgegangen. Ich würde das gern in meine Kindereinrichtung einbringen – es gibt ja so viele Einrichtungen von christlichen Trägern. Die könnten das noch viel mehr entdecken.“

Ein Seufzen kommt von Rebeccas Platz. Sie hat sich verschrieben. In ihrer Bibel! Weil sie abgelenkt war, steht da jetzt nicht „need“ (Bedürfnis), sondern „neen“! Macht nichts. Sie sucht einen farblich passenden Papierstreifen aus, schreibt das Wort noch einmal richtig darauf und klebt ihn über den Fehler. Jetzt sieht es so aus, als wäre es von vornherein so gedacht gewesen. Passend zu den Worten weiter oben auf ihrem Kunstwerk: „Don’t worry!“ Gut, wenn man beim Material so aus dem Vollen schöpfen kann. Aber wie ist es mit Leuten, die wenig Geld haben? Ist Bible Art Journaling ein Luxus-Hobby? Tabea ist von meiner Frage nicht überrascht.

„Gerade darüber habe ich schon mal im Blog geschrieben. Man kann ganz viel sammeln und daraus was machen. Bonbonpapierchen zum Beispiel, Obstnetze, Verpackungen von Cerealien, Sprüche oder Zitate aus christlichen Zeitschriften, ..."

Wenn Bibeltexte weiter wirken

Die meisten sind mit ihrer Seite nun fertig. „Zeig mal, was du gemacht hast!“ Bibeln werden einander über den Tisch...“ hinweg gereicht. „So schön!“ „Wie du dies hier gemacht hast – das ist echt toll!“ Ein solches Ausmaß an Wertschätzung und gegenseitiger Ermutigung – ich frage mich, ob das gerade typisch für eine Gruppe von Frauen ist. Hätte man in einer Männergruppe einander so gelobt? Alle stellen sich zum Gruppenfoto zusammen und präsentieren stolz ihre Bibeln. Und nun? War es das jetzt? Oder wirkt der Text, mit dem sie sich befasst haben, noch weiter? Wird er ihr Leben beeinfl ussen?

Rebecca dazu: „Ja! In meinem Wort heißt es: ‚In jeder Situation sollen wir geben und empfangen‘ – gleichzeitig. In den letzten Wochen habe ich ganz schön viel zu tun und zu planen gehabt, sodass ich kaum noch weiß, wo vorn und hinten ist. Da ist mir eben beim Bibelwort noch mal klargeworden, dass ich das abgeben muss und mich nicht sorgen soll, weil Gott versorgt. Durch seine Versorgung kann ich dann auch geben. So wie es in dem Kapitel steht: ‚Mein Gott wird all eure Bedürfnisse erfüllen, er wird euch versorgen.‘“

Und Tabea wirft noch einmal einen Blick auf die kreative Methode, die diesen Nachmittag geprägt hat: „Mein Wort aus Philipper 4 habe ich sofort auf das bezogen, was wir hier machen, auf das Bible Art Journaling: ‚Suche ich die Gabe oder die Frucht?‘ Das muss das Motto sein! Ich habe total viel Spaß an der Kreativität, die ja eine Gabe ist. Aber ich muss immer fragen: Suche ich die Gabe? Gehe ich darin auf? Oder suche ich danach, was dabei herauskommt? Frucht bedeutet für mich: Das Leben von anderen besser machen. Frucht ist nicht für mich da, sondern für die anderen.“ /// 

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Ein Text, viele Ideen: Die fertigen Bibelseiten werden präsentiert.

Dr. Ulrich Wendel ist Chefredakteur der Zeitschrift Faszination Bibel. Im Sommer 2015 hat er sich näher mit dem Bible Art Journaling beschäftigt und eine sehr aktive Gruppe in Baden Württemberg besucht.

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