Menschen leben heutzutage in unruhigen Zeiten: Äußere Veränderungen wie Klimawandel, Coronapandemie und Ukraine-Krieg lassen viele erahnen, dass sie ihr vertrautes Leben so nicht mehr weiterführen können. Hinzu kommen persönliche Umbrüche im Leben – die neue Arbeitsstelle, der Verlust geliebter Menschen, die Familiengründung oder eine schwere Erkrankung. Viele Menschen ängstigen diese Übergänge in unbekanntes Terrain. Die Familientherapeutin Heike Nagel hat nun ein kluges Buch darüber geschrieben, »wie wir den Prozess zwischen Lebensphasen gut gestalten und Gott darin finden«, wie es im Untertitel heißt. Darin lädt sie dazu ein, einen besonderen Blick auf diese besondere Zeit zu werfen.
Den Übergang von etwas Altbekanntem zu etwas Neuem gelte es ernst zu nehmen und zu gestalten, statt vorschnell alle Energie in die neue Lebenssituation zu stecken. Bei Veränderungen – egal ob bewusst angestrebt oder schicksalhaft erlitten – erlebe der Mensch eine irritierende und beunruhigende »Identitätsverwirrung «, der er schnell entkommen möchte. Gebe man dieser, mit einem inneren psychischen Prozess verbundenen, Phase aber die nötige Zeit, verhelfe sie zu einer »gereiften Identität«.
Hilfreich sei es, eine positive Einstellung zu dem zu entwickeln, »was durch diese Veränderungen in uns passiert«, und darin eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung zu sehen. »Wenn wir einfach nur denken: ›Ich beginne etwas Neues!‹, verkennen wir, mit welchen Umwälzungen diese Entscheidung einhergehen kann.« Damit ein Neustart gelinge, gehe es deshalb zunächst darum, etwas Altes bewusst zu beenden. »Allzu oft beginnen wir einfach etwas Neues, ohne das Alte wirklich abzuschließen« und zu betrauern, beobachtet Nagel. Gelingt dies nicht, bleiben aus Sicht der Therapeutin viele Menschen in einer alten Lebensphase stecken, was sie für die Gegenwart und Zukunft blockiert. Einen besonderen Fokus legt Nagel auf den Zwischenzustand des Nichtmehr und des Nochnicht – eine »neutrale Zone« zwischen dem alten, vertrauten und dem neuen, unbekannten Land. Dieser Schwebezustand, der eine »große Chance für kreative und innovative Prozesse« berge, sei oft quälend, irritierend und beängstigend. Dennoch sollte diese herausfordernde Phase nicht hastig übersprungen werden, denn sie könne nicht willentlich beschleunigt werden. »Die Seele hat ihr eigenes Tempo.« Nagel rät, »den Prozessen Raum zu geben, die in uns stattfinden« und Vertrauen ins Leben zu haben. »Wir dürfen einfach etwas an uns geschehen lassen. Wir können und müssen nicht Gas geben, damit etwas schneller vorbei ist.« Nur so sei ein kraftvoller Neuanfang möglich. Die Therapeutin ermutigt dazu, dem »Ruf des Lebens«, der in Veränderungen und Umbrüchen steckt, vertrauensvoll zu folgen.
Ungewöhnlich an Nagels Buch ist, dass sie nicht nur den Fokus auf das wenig beachtete Phänomen der Übergänge im Leben lenkt, sondern immer auch die Gottesdimension im Blick hat.
Angelika Prauß (kna)