Für mich gab es damals klare Freund-Feind-Linien: Die deutschen Kommunisten haben Hitler bekämpft und viele von denen, der prominenteste war natürlich Ernst Thählman („Teddy“), sind an der unsichtbaren Front gefallen. Die Sowjetunion hat unter vielen Opfern Hitler besiegt und damit ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen. Der westdeutsche Staat hingegen war in unseren Augen nur ein Nachfolger des Hitler-Regimes. Beispiele: Hans Globke, ein Judenhasser der im Innenministerium unter Hitler erfolgreich gearbeitet hatte, wurde Staatssekretär im Bundeskanzleramt der BRD; Kanzler Kurt Georg Kiesinger war ein Alt-Nazi; und Reinhard Gehlen, der Chef des BND, war Chef der Ostspionage im zweiten Weltkrieg als General in der Abteilung „Fremde Heere Ost“. Wir waren zu hundert Prozent davon überzeugt, dass wir unter der Leitung der UdSSR die Welt vom Kapitalismus befreien würden, so wie es Marx, Engels und Lenin vorhergesagt haben. Wir kämpften mit vollem Einsatz für eine gemeinsame Sache.
Ein Doppelleben als deutscher KGB-Spion in den USA
Jack Barsky kommt als Albrecht Dittrich 1949 in der ehemaligen DDR auf die Welt. Als Chemie-Student wird er zum aufstrebenden Stern an der Universität Jena, bis im September 1970 der KGB an die Tür seines Studentenzimmers klopft. Es folgen zahlreiche geheime Treffen, bis Albrecht Dittrich sich als Geheimagent rekrutieren lässt, oder um es mit den Worten des KGB auszudrücken: als „Kundschafter des Friedens“. Er soll den kapitalistischen Klassenfeind ausspionieren und relevante Informationen besorgen. Was relevant ist, entscheidet der KGB. Albrecht Dittrich durchläuft eine strenge Ausbildung in Berlin und Moskau, in der er sich bewährt und vorbereitet wird auf seinen Einsatz als „Illegaler“ in den USA. Dort nimmt er 1978 die Identität des verstorbenen Jack Barsky an und lebt fortan ein gewagtes Doppelleben, am Ende mit zwei Ehen, bis er entscheidet, für immer auszusteigen. Erst 1997 - neun Jahre nach seinem Ausstieg - wird er vom FBI enttarnt als „der vermutlich letzte KGB-Agent in den USA“, so Jack Barsky.
In „Der falsche Amerikaner. Ein Doppelleben als deutscher KGB-Spion in den USA“ erzählt Jack Barsky nicht nur davon, was es heißt, Spion im Kalten Krieg zu sein und zwischen zwei Weltmächten, Ideologien - Kommunismus und Kapitalismus - und Identitäten zu stehen, sondern wie er für die Liebe zu seiner Tochter alles aufs Spiel setzt. Das klare Exit-Signal und die Warnung „Du musst nach Hause kommen, oder du bist tot“ ignoriert Jack Barsky und schickt dem KGB seine Kündigung - in Geheimschrift. Heute ist er Amerikaner und bekennender Christ, der aufklären will - mit einem Buch, das voller Geheimnisse und Überraschungen steckt, fesselnd wie ein Thriller, absolut ehrlich und brillant.
Jack Barsky (* 18. Mai 1949 in Reichenbach/O.L. als Albrecht Dittrich) ist ein deutsch-US-amerikanischer KGB-Spion, dessen Enttarnung in den USA erst 20 Jahre nach dem Beginn seiner Mission erfolgte. Er wuchs in Brandenburg (DDR) nahe der polnischen Grenze auf und studierte in Jena Chemie. Während des Studiums wurde er vom KGB angeworben und lebte seit 1978 als Maulwurf unter falscher Identität in den USA. Seine Hauptaufgabe war es, sich voll in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren und politische Informationen zu sammeln. Obwohl Barsky der Sowjetunion nur einmal streng geheimes Material lieferte - einen wirtschaftlich lukrativen Programmcode, zu dem er im Rahmen seiner Tätigkeit als IT-Fachmann Zugriff bekommen hatte - wurde ihm 1988 der Rotbannerorden verliehen. Er hat insgesamt dreimal geheiratet und lebte zeitweise in doppelter Ehe mit einer Frau in den USA und der DDR. Erst neun Jahre nach seinem Ausstieg aus dem KGB wurde er vom FBI enttarnt. Der ihn beschattende FBI Agent gehört heute zu seinen besten Freunden und hat dem Buch ein originelles Nachwort beigesteuert. Jack Barsky lebt als Amerikaner und hat mit seiner alten Identität Albrecht Dittrich Frieden geschlossen. Seine politische Unabhängigkeit hat er sich seit seinem Ausstieg beim KGB bewahrt.
„Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, der Menschheit ein Paradies zu ermöglichen“
Ein Interview mit dem Ex-KGB-Spion Jack Barsky
von Annette Brüggemann
Gulag? Was war das?! Keine Ahnung! Ich bin als Jugendlicher im Tal der Ahnungslosen aufgewachsen ohne Westfernsehen und ohne leichten Zugang zu anderen Meinungen. Natürlich gab es RIAS und andere westliche Kurzwellensender, aber uns wurde eingebläut, dass diese nur Nazi-Propaganda verbreiteten. Als dann Solschenizyn mit seinem Buch „Der Archipel Gulag“ an die Öffentlichkeit trat, wurde er so schnell und gründlich verleumdet, dass mich sein illegales Buch auch nicht besonders interessierte. Der Kommunismus war für mich eine überzeugende visionäre Idee: „Runter mit den Unterdrückern, Blutsaugern und Ausbeutern und die Macht an alle, die den Wert erzeugen - die Arbeiter.“ Diese Idee hat auch heute noch eine immense Anziehungskraft für junge Menschen.
Die Wendung war nicht politisch motiviert, auch wenn das auf den ersten Blick so scheinen mag. Es war ein sehr persönlicher Prozess und es hat gedauert, bis sich die russische Matroschka entpuppte. Ich skizziere mal, in welchen Stufen das ablief:
Unterstufe: Die radikale Idee, dass der Kommunismus dem Kapitalismus in allem überlegen sei, hatte schon früh gegenüber der Realität des Westens für mich keinen Bestand. Der Vergleich zwischen Moskau und New York war nicht gerade schmeichelhaft für uns, auch wenn wir uns dem Westen moralisch hoch überlegen fühlten: Vietnam, Kuba, Chile, die Befreiungsbewegungen in den Kolonialstaaten – wir waren auf der „richtigen“ Seite, das motivierte mich trotz aller Zweifel.
Zweite Stufe: Als meine Tochter Chelsea auf die Welt kam, erfuhr ich zum ersten Mal bedingungslose Liebe. Es hat mich umgehauen. Ich stieg aus beim KGB und lebte als Privatmann den amerikanischen Traum: Frau und zwei Kinder, Haus mit Garten, zwei Autos. Über „gut“ und „böse“ habe ich nicht nachgedacht. Als ich im US-Fernsehen den Fall der Mauer miterlebte, habe ich einfach nur gestaunt. Sonderlich berührt hat es mich nicht, ich war ja jetzt Amerikaner. Deutschland war mir fremd geworden.
Dritte Stufe: Ich wurde dann doch neugierig, warum die DDR, die ich immer noch im Aufstieg sah, so sang und klanglos eingegangen ist. Je mehr ich im Internet darüber las, um so klarer wurde mir, was dieser Staat eine große Lüge war. Zu der Zeit habe ich noch die Schuld der DDR-Führung gegeben. Die waren eben keine echten Revolutionäre wie Lenin, nicht intelligent genug und zu machthungrig. Die haben die große Idee des Kommunismus total versaut!
Vierte Stufe: Als ich schließlich mehr über die Spitzeleien und Machenschaften der Stasi erfuhr, bröckelte mein ideologisches Fundament. Das waren ja sozusagen meine früheren Kollegen auf der anderen Seite des Gartenzauns. Aber dass sie sich auf ihrem eigenen Grundstück wie die Schweine im Schlamm gesuhlt haben, war immer noch nicht mein Problem. Unsere Branche der Spionage war ehrlich und nobel, glaubte ich (lacht).
Fünfte Stufe: Der Zusammenbruch. Mit meinen Recherchen zum KGB rollten die ersten Tränen. Ich hatte nicht nur mein Leben für eine mörderische Bande aufs Spiel gesetzt. Von den acht Bossen des KGB wurden zwischen 1923 und 1953 fünf nach ihrer Ablösung hingerichtet. Auch Mitarbeiter und Familien wurden erschossen. Grausam! Meine Illusionen fielen von mir ab wie der Eiserne Vorhang.
Oberstufe: Jetzt, wo ich glaube die menschliche Natur besser zu kennen, weiß ich, dass die romantische Idee des Kommunismus nicht lebbar ist. Tatsächlich hat es in der Geschichte der Menschheit nicht einen einzigen echten kommunistischen Staat gegeben – diese Staaten waren und sind alle Diktaturen. Heute glaube ich auch nicht mehr an den „guten Menschen“. Es gibt so viel Elend, Krieg und Verbrechen auf dieser Welt. Im letzten Jahrhundert hat der Mensch ungefähr 100 Millionen seiner Mitmenschen getötet. Wo sind sie denn alle versammelt, die Guten? Nirgendwo! Unter den Systemen und Staaten gibt es nur - überspitzt formuliert - äußerst Böse, sehr Böse, ziemlich Böse und etwas Böse. Der Westen schwankt so zwischen „ziemlich“ und „etwas“ und muss gut aufpassen, dass er nicht abrutscht.
Warum gibt es Jack Barsky nicht ohne Albrecht Dittrich und Albrecht Dittrich nicht ohne Jack Barsky?
Jack und Albrecht haben den gleichen Körper und sogar das gleiche Gehirn geteilt, aber sie haben nicht miteinander geredet (lacht). Als ich in den USA ankam, war ich tatsächlich ein „falscher Amerikaner“. Ich war Albrecht, der behauptete Jack zu sein. Nach ungefähr einem Jahr habe ich angefangen auf Englisch zu träumen, und nach zwei Jahren hat Jack meinen Körper erobert. Da gibt es so eine interessante Szene im Buch: Alle zwei Jahre habe ich den eisernen Vorhang gen Osten überquert, um mich mit meinen Oberen zu treffen und mich mit meiner Familie zu erholen. Für Albrecht war es zwar sehr schön wieder mal zu Hause zu sein. Aber Jack hat Heimweh nach den USA gehabt und war sehr froh, als er wieder in den Flieger stieg. Wahnsinn, oder?! Das waren die Nebenwirkungen eines radikalen Doppellebens. Heute bin ich mehr Jack als Albrecht und der alte Deutsche ist ein guter Freund.
Anfangs habe ich mir gar nichts dabei gedacht. So was musste man eben machen als Agent, um den Wettkampf der Systeme zu gewinnen. Allerdings haben mir meine KGB Bosse eine Lüge erzählt: der Junge wäre schon mit drei Jahren gestorben. Fast elf Jahre ist eine ganz andere Sache und auch ein größeres Risiko.
Als mich das FBI gefunden hat, lebten Jack Barskys Eltern noch. Man hat sie benachrichtigt und gebeten zu schweigen, was sie aus patriotischer Pflicht getan haben. Heute fühle ich mich nicht sehr wohl, diesen lieben Eltern ihren Jungen gestohlen zu haben. Sie sind leider schon verstorben und ich hoffe, dass ich mit meinem Ziel aufzuklären etwas wieder gut machen kann. Das Grab hat übrigens „Der Spiegel“ fotografiert, ich habe es nie besucht.
Wenn Sie mich so fragen, bin ich mindestens fünf Mal auf die Welt gekommen: Als ich beschloss gegen den Willen des KGB in den USA zu bleiben, weil die Liebe zu meiner Tochter stärker war. Als das FBI auftauchte - endlich konnte ich aus dem selbst gewählten Schatten heraustreten und mich offenbaren. Als ich Gott kennen lernte und er mir Jesus vorstellte - danach ließ ich mich taufen. Als ich zum ersten Mal wieder nach Deutschland zurück kam und in den deutschen und amerikanischen Medien meine Geschichte erzählen konnte - das hat mich endlich von aller Geheimhaltung befreit und meine Identitäten wiedervereinigt. Und schließlich als ich zum dritten Mal heiraten durfte und mir meine Frau Shawna eine zuckersüße Tochter schenkte. Sie gaben mir die Chance, noch einmal von vorn zu beginnen und es diesmal richtig zu machen.
Den Glauben an den Kommunismus und den Glauben an Gott kann man nur schwer vergleichen. Eines ist eine Gesellschaftsordnung, das andere eine Weltanschauung. Der dialektische Materialismus - der dem Kommunismus als Philosophie zugrunde liegt - und der christlichen Glauben haben nur eins gemein: Der Mensch muss an etwas glauben, für das es keinen direkten Beweist gibt. Allerdings fehlt dem Materialismus etwas, was für einen Menschen sehr wichtig ist: die Seele. Alles wird logisch erklärt und am Ende kann der dialektische Materialismus die wichtigsten Fragen nicht beantworten: Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Was bedeutet es ein guter Mensch zu sein? Wohin geht die Reise? Die christliche Weltanschauung hat eine Antwort auf alle vier Fragen und damit kann man als Mensch Frieden finden. Für mich - der immer mit 300 Sachen über die Autobahn des Lebens gerast ist - war das wichtig. Denn ich erkannte, dass ich bei aller Raserei sehr wenig Kontrolle über das Lenkrad hatte. Mit Gott lebe ich ruhiger und gelassener. Durch ihn sehe ich mich als der Mensch, der ich bin.
Wann waren Sie zuletzt in Deutschland und wie ist es, im März 2018 zurück zu kehren?
Das letzte Mal war ich in Deutschland im Herbst 2016. Der Anlass war das 50-jährige Jubiläum meines Mittelschulabschlussjahrgangs. Das war unvergesslich. Endlich konnte ich meiner platonischen Jugendliebe Jutta sagen, dass ich in der 8. Klasse total in sie verliebt war. „Das habe ich ja nie gewusst“, sagte sie erstaunt, „das hättest du mir sagen sollen, dann wäre ich mit dir nach Amerika gegangen.“ So was gibt’s nur im Kino!
Meine jetzige Reise nach Deutschland wird mich erneut mit meinem früheren Leben konfrontieren, auch wenn Gott mich wieder zusammen geleimt hat und ich nullkommanix zu verheimlichen habe. Das Leben steckt voller Überraschungen, also schauen wir mal, was so passiert. Ich freue mich auf jeden Fall sehr darauf, den Deutschen meine Geschichte zu erzählen. Ich bin ein Mensch mit Brüchen, der weiß, was es heißt, wenn nicht nur politische Systeme, sondern auch menschliche Bedürfnisse in Konflikt geraten. Wir befinden uns heute in einer brisanten weltpolitischen Lage und ich möchte mit meiner Erfahrung aufklären und helfen. Und natürlich freue mich auf die gute alte deutsche Küche. Zur Vorbereitung habe ich schon sieben Kilo abgenommen (lacht).
Wo sehen Sie die größten Gefahren der Gegenwart?
Darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Zunächst einmal ist Russland ein gefährlicher Freund, das Land war von seiner Gründung an expansionistisch und ist es auch heute noch. Und Cyberkrieg ist neben einer atomaren Bedrohung eine echte Gefahr. Das wird alle Bürger betreffen, ob sie wollen oder nicht. Deshalb müssen wir darüber aufklären, wie wir Cyberhygiene betreiben können. Wir lassen niemanden ohne Führerschein ins Auto steigen, geben aber Kleinkindern ein Handy in die Hand, das tatsächlich eine Waffe im Cyberkrieg sein könnte? Paradox! Ich bin nicht James Bond, aber wir alle wissen, dass Machtkonzentration in wenigen Händen sehr gefährlich ist, sogar wenn die Hände anfangs noch sauber waren. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass eine solche Machtkonzentration schmutzig und tödlich endet. Last but not least läuft die Spiritualität im Westen Gefahr, im Konsum ertränkt zu werden - einer solchen Entwicklung sollten wir aufmerksam entgegen steuern.
Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, der Menschheit ein Paradies zu ermöglichen. Dafür war ich als KGB Spion bereit alles zu opfern. Aber ganz ehrlich steckten dahinter zutiefst persönliche Gründe: Abenteuerlust verbunden mit der Sehnsucht nach Freiheit und die Hybris, etwas ganz Besonderes zu sein. Heute sehe ich das mit anderen Augen: In meiner tiefsten Krise habe ich einem Freund eine Email geschrieben mit dem Satz „Das Einzige was mir jetzt noch übrig bleibt, ist das Streben ein guter Mensch zu werden“. Im Privaten heißt das für mich: Liebe deine Frau und deine Kinder; behandle alle Menschen mit Güte und Höflichkeit; liebe und lasse lieben und geh mit gutem Beispiel voran. Im öffentlichen Leben ist für mich das höchste Ziel, die nächsten Generationen aufzuklären, damit sie unsere alten Fehler nicht wiederholen. Irgendwann könnte es das letzte Mal sein. Und vorher möchte ich noch mal positiv überrascht werden (lacht).