Warum dieses Buch

Im deutschsprachigen Europa sind gut 65 Millionen Menschen Mitglieder in christlichen Kirchen: in Deutschland 54 Millionen, in Österreich 5,8 Millionen, in der Schweiz 5,5 Millionen. Doch kann man sie alle automatisch als Christen bezeichnen? Verstehen sie sich überhaupt selbst als solche?
Viele würden auf diese Frage wohl antworten: „Ja, warum auch nicht?“ In Deutschland gehen allerdings nur vier Prozent der Kirchenmitglieder sonntags in einen Gottesdienst. Was bedeutet für die anderen 96 Prozent die Bezeichnung „Christ“? Und müssen Christen immer auch Kirchenmitglieder sein? Es gibt sicher nicht wenige Menschen, die keiner Kirche angehören und sich trotzdem irgendwie als Christen fühlen. Manche sagen das auch.
Also: Was ist eigentlich ein Christ? Kann man die Frage überhaupt klar beantworten? Es gibt sicher viele verschiedene Ansichten darüber. Ich bin frech genug, in diesem Buch eine Antwort auf diese Frage zu geben. Was ich damit bezwecke?

Wozu dieses Buch?

Ich will Informationen als Hilfe zur Klärung anbieten, weil ich annehme, dass viele danach suchen. Ich begegne Menschen, die selbstverständlich Christen sein möchten. Aber sie sind sich nicht im Klaren, was das bedeutet. Sie sind auch unsicher, ob es darüber Klarheit geben kann. Das Stimmengewirr in der Gesellschaft verunsichert sie.
Ich will herausfordern, weil ich beobachte, dass viele sich im Nebel der Unklarheit verstecken. Ganz nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich bedaure, dass wir in den Kirchen heute weitgehend klare und begründete Antworten auf die Fragen „Was ist ein Christ?“ und „Wie wird man Christ?“ schuldig bleiben.
Und ich will dazu einladen, Christ zu werden. Mir ist klar, dass Einladungen angenommen und abgelehnt werden können. Ich bin froh, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, in der niemand gezwungen werden kann, irgendetwas zu glauben. Die Zeiten der Staatsreligion sind Gott sei Dank vorbei. Die Versuche, den Menschen das Christentum mit Hilfe der Staatsmacht aufzuzwingen, haben der Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens schwer geschadet. Manche in den Kirchen vermeiden es deshalb heute, klare Positionen zu beziehen. Das halte ich für völlig falsch.
In einer freien Gesellschaft müssen Positionen und Überzeugungen privat und öffentlich mit klarem Profil dargestellt und vertreten werden. Nur dann können wir uns eine Meinung bilden und Entscheidungen treffen. Die Gespräche darüber und auch die kritische Auseinandersetzung damit müssen friedlich geschehen. Ohne Gewaltandrohung und Gewaltanwendung. Das gebietet die politische Tugend der Toleranz, die das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft ermöglicht.

Die Bezeichnung „Christ“

Doch wie kam es eigentlich zu der Bezeichnung „Christ“? Hier eine Begebenheit, wie ich sie mir vorstelle:

Rufus drehte sich um und wies mit ausgestreckter Hand auf eine Gruppe von Männern. „Christianoí sind das.“
„Christianoì? Was ist denn das für ein Volk? Habe ich ja noch nie gehört“, entgegnete verwundert sein Kollege Nikanor und versuchte zu erkennen, ob an den Männern irgendetwas Besonderes war. In dieser Metropole, der viertgrößten Stadt des Römischen Reiches, sah man Leute aller Hautfarben und hörte zahllose Sprachen und Dialekte. Multikulti eben. Fast 500 000 Einwohner zählte Antiochia am Orontes, Hauptstadt der römischen Provinz Syria.
„Was sind Christianoì?“, fragte Nikanor im Weitergehen noch einmal neugierig. Beide waren unterwegs zu einer geschäftlichen Verabredung.
„Die gehören zu so einer jüdischen Sekte. Nun ja, es sind nicht nur Juden. Leute aus aller Welt gehören dazu. Auch ein paar Promis. Sie reden dauernd von einem Jesus Christus. Sie scheinen ohne ihn nicht leben zu können. Immer haben sie es mit diesem Jesus Christus.“
„Was Politisches?“
„Ich weiß nicht richtig. Jedenfalls nehmen sie den Christus sehr ernst. Und soweit ich sie kennengelernt habe, denken und leben sie ziemlich gegen den üblichen Trend. Sie würden es vielleicht Christus-Trend nennen. Ich nenne sie darum Christianoí.“

Vielleicht war es so. Irgendwann muss jedenfalls jemand in dieser Metropole zum ersten Mal die Bezeichnung „Christianoí“ – Christen – für die Jesus-Nachfolger gebraucht haben. In der Bibel, genauer im 11. Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas im Neuen Testament lesen wir: „In Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt“ (Apostelgeschichte 11,26).
Es war also offensichtlich eine Bezeichnung, die ihnen die Gesellschaft in Antiochia verpasst hatte. War sie spöttisch gemeint? Die „Christus-Spinner“? Lag Anerkennung und Respekt darin? Jedenfalls haben die Betroffenen irgendwann gehört, dass man sie so nennt, und die Bezeichnung als zutreffend angenommen: „Ja, wenn ihr von uns redet, dann müsst ihr immer auch von Jesus Christus reden. Der ist die Mitte unseres Lebens. Dem verdanken wir alles. An ihm orientieren wir uns. Wenn ihr von uns redet, ohne von Jesus Christus zu reden, habt ihr eigentlich nichts Wesentliches über uns gesagt.“
In der antiken Weltstadt Antiochia am Orontes fing es also an. Heute heißt die Stadt Antakya, liegt ganz im Osten der Türkei und hat gut 188 000 Einwohner. Die Bezeichnung „Christ“ für einen Nachfolger Jesu hat sich offenbar früh und schnell ausgebreitet. Sie stand für ein profiliertes, durch Jesus Christus geprägtes Leben. In seinem ersten Brief, der sich an Christen in weiten Bereichen der heutigen westlichen und nördlichen Türkei richtet, schreibt Petrus: „Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen“ (1. Petrus 4,16).
Bevor man die Christen „Christen“ nannte, wurden sie entweder einfach „Schüler des Jesus Christus“ oder „die Leute des Weges“ genannt. Die zweite Bezeichnung finden wir in dem Bericht über die Bekehrung des späteren Apostels Paulus (Apostelgeschichte 9,2). Wieso „Leute des Weges“?
Wer an Jesus Christus glaubt, begibt sich mit ihm auf einen Weg, um mit ihm zu leben und von ihm zu lernen. Natürlich hat lernen auch etwas mit dem Kopf zu tun. Aber das Lernen bei Jesus geschah und geschieht nicht nur im Kopf, es geht auch in die Beine. Jesus hat von sich selbst gesagt: „Ich bin der Weg.“ Wer ihm vertraut, vertritt also nicht nur einen Standpunkt. Er tritt jedenfalls nicht auf der Stelle. Er geht einen Lebensweg.

Unterwegs

Ich bin auf diesem Weg unterwegs. Ich kann erzählen, wie der Weg begonnen hat und wie er weiter verlaufen ist. Es gab bequeme Strecken und solche mit Schlaglöchern und anderen Hindernissen. Manchmal ging es bergab, gelegentlich steil bergauf. Manchmal bin ich allein gegangen und habe die Einsamkeit genossen. Nicht selten empfand ich das Alleinsein auch als bedrückend und habe mich gefürchtet. Über weite Strecken hatte ich viele Mitwanderer. Ein buntes Volk, muss ich sagen. Die einen waren wirklich unterhaltsam, erfrischend und hilfreich, gerade auf mühsamen Abschnitten. Manche gingen mir auf die Nerven. Ich vermutlich nicht wenigen Mitwanderern auch. Ich konnte den Weg nach vorne nicht überblicken. Doch bin ich einfach Schritt für Schritt vorwärts gegangen. Rückblickend weiß ich, woher ich gekommen bin und kann die Wegstrecke beschreiben. Eine ausreichend klare Wegbeschreibung habe ich in der Bibel gefunden. Wieso das so ist – davon soll unter anderem später die Rede sein.
Wichtig ist: Jeder Lebensweg ist einzigartig. Jesus hat zwar gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater (also zu Gott) außer durch mich“ (Johannes 14,6; eigene Übersetzung). Aber die Wege der Menschen zu Jesus sind tausendfach verschieden, auch wenn Jesus für uns alle der gleiche ist. Das entspricht der schöpferischen Vielfalt Gottes. Serienproduktion scheint überhaupt nicht seine Vorliebe zu sein.
Ich möchte den Weg mit Jesus Christus in diesem Buch in zehn Kapiteln beschreiben. Nein, es sind nicht zehn aufeinanderfolgende Abschnitte des Weges, es ist keine detaillierte Routenbeschreibung. Zwar beginne ich mit dem Anfang des Weges, der Bekehrung, und schreibe im letzten Kapitel über das Ziel des Weges, den Himmel. Die acht Kapitel dazwischen handeln von den Schönheiten, Herausforderungen, Gefahren und Hilfen unterwegs. Obwohl jeder von uns seinen eigenen Lebensweg geht, werden wir doch alle bestimmte typische Erlebnisse und Erfahrungen machen. Wir werden bestimmten Herausforderungen und Chancen begegnen. Wir werden leider Fehler machen. Und wir werden in sehr unterschiedlichen Situationen des Scheiterns die unglaubliche Zuverlässigkeit und starke Hilfe des auferstandenen Herrn Jesus Christus erfahren.
Beim Lesen dieses Buches werden Sie sich selber ein Bild davon machen, wo Sie sich auf dem Weg mit Jesus Christus befinden. Am Ende jedes Kapitels finden Sie deshalb jeweils auch einen Kasten mit einigen Fragen, die Ihnen dabei helfen sollen, das Gelesene noch einmal zu reflektieren und auf Ihr eigenes Leben zu beziehen.
Ich hoffe jedenfalls, dass Ihnen dieses Buch zu mehr Klarheit verhilft. Vielleicht erleben Sie auch einige Überraschungen. Obwohl ich versuche, Fragen zu beantworten, werden sicher neue aufkommen. Diese könnten Sie in einer Gruppe von Leuten besprechen, mit denen Sie dieses Buch gemeinsam lesen. Auch auf dieser Website können sie mir ihre Fragen stellen. Ich werde versuchen, Ihnen zu antworten.
Christ. Glauben. Leben. Mit dem Titel dieses Buches wird schon signalisiert, dass es nicht um ein religiöses oder kirchliches Nischenthema geht. Wir alle müssen uns Tag für Tag auf Menschen und Gegebenheiten verlassen. Wir vertrauen darauf, dass die Luft, das Wasser, das Essen nicht vergiftet ist, dass Häuser und Brücken nicht einstürzen, dass Menschen uns nicht belügen und betrügen. Wir glauben, ohne dass wir alles vorher genau prüfen können. Nachher wissen wir immer hundertprozentig gewiss, ob unser Glaube gerechtfertigt war oder enttäuscht wurde. Unser Leben hängt davon ab, ob wir zurecht geglaubt oder ob wir uns geirrt haben. Jeder Mensch glaubt – fragt sich nur woran. Wir können nicht leben, ohne zu vertrauen. Fragt sich nur, wem und worauf wir vertrauen und wie dieses Vertrauen begründet ist. Es geht also um die Grundfragen von Glauben und Leben, wenn wir über das Christsein nachdenken.
Ich lade Sie ein, sich auf eine Prüfung des Angebotes von Jesus Christus einzulassen. Wie sieht der Weg aus, auf den Jesus Christus uns führt? Wie beginnt er? Woran können wir uns orientieren? Was sind die Meilensteine? Was sind die Herausforderungen und Hindernisse? Was sind die Chancen? Was sind die Gefahren? Was ist das Ziel?


Ulrich Parzany

Ulrich Parzany über sein Buch
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