Gott schreckt nicht vor meiner Dunkelheit zurück

Mit 16 Jahren bekam Janice Braun die Diagnose »schwere Depression«. Ihr Glaube und eine Therapie haben ihr geholfen, damit zu leben. Heute ist sie Pastorin und setzt sich für Aufklärung über psychische Erkrankungen ein.

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Janice Braun - Foto © Miriam Majaniemi
Interview mit der Autorin Janice Braun

Janice, wie hat sich die Krankheit bei dir bemerkbar gemacht?

Ständig schien ich innerlich in meinem Schmerz oder meiner Erschöpfung zu ertrinken. Doch die Zusammenbrüche ließ ich möglichst nur hinter verschlossenen Türen zu. Meine ganze Kraft und mein ganzer Fokus la- gen darauf, irgendwie noch im Alltag zu funktionieren.


Was hat sich durch die Therapie verändert?

Erst mit der Unterstützung von Fachleuten habe ich erkannt, dass auch meine Konzentrationsschwierigkeiten, meine Antriebslosigkeit oder meine Kopfschmerzen Teil der Depression waren und ich nicht einfach als Person unfähig war – denn so fühlte ich mich. Besonders in der Klinik habe ich viele Skills erlernt, um meine Gefühle zu reflektieren und anders auf Situationen zu reagieren, als mein erster Impuls von mir forderte.

Mein wichtigstes Learning jedoch war, dass Gottes Wirken in mir niemals aus- gelöscht werden kann. Ich hatte stets die Hoffnung, dass Gott mich aus dieser elenden Pfütze der Depression retten kann. Diese Hoffnung entfachte in mir den Willen weiterzukämpfen.


Wie hast du Gottes Wirken erlebt?

In diesen sehr dunklen Jahren ist Gott mir oftmals anders begegnet als den Menschen in meinem Umfeld. Ostern beispielsweise ist für viele eine Zeit zum Feiern, denn Jesus hat in seiner Auferstehung die Welt überwunden. Ich jedoch bleibe während der Ostertage länger in einer nachdenklichen Trauerzeit. Ich muss daran denken, wie Jesus ein sam und voller Qualen an diesem Kreuz hing. Vermutlich wünschte er sich, dass der Tod ihn von seinen Schmerzen erlöst.

Was für ein Gott, der diesem Elend nicht ausweicht! Natürlich ist die Freude über seine Auferstehung ein genauso wichtiger Bestandteil von Ostern, doch ich fühle mich Jesus besonders an Karfreitag nah.


Also mitten im heftigsten Leid.

Meine tiefsten Gottesbegegnungen erlebe ich oftmals als herausfordernd, vielleicht sogar als schmerzhaft. Ich spüre dann, dass Gott meine innere Zerbrochenheit ernst nimmt und aushält. Oft können Menschen die tiefen Abgründe einer Depression nicht aushalten, doch Gott schon. Er beschönigt nichts, er schaut nicht darüber hinweg und schreckt nicht vor meiner Dunkelheit zurück. Dafür bin ich endlos dankbar und das hat mich Gott mehr erkennen lassen als meine höchsten Höhenflüge.


Spürst du im Alltag, dass Gott trotz allem bei dir ist?

In seinem Wort verspricht Gott uns immer wieder seine Stärke und das erlebe ich tatsächlich. Wenn ich keine Lebenskraft mehr habe und keinen Antrieb mehr finde, entfacht er in mir immer wieder genug Leben für den kommenden Tag. Das spüre ich nicht jeden Tag, aber ich bin tief von dieser Wahrheit über- zeugt, egal, ob ich sie fühle oder nicht. In meinem Alltag rechne ich fest mit Gottes Hilfe und es gibt immer wieder Momente, in denen ich seine Nähe besonders stark spüre. Er gibt keine billige Vertröstung. Nein, er hält das Leiden mit mir zusammen aus.


Kannst du es heute annehmen, dass du mit der Depression leben musst oder hoffst du weiterhin auf Heilung?

Grundsätzlich glaube ich von ganzem Herzen, dass mein Leben nicht unter der Depression verkrüppeln wird. Trotzdem gibt es viele Tage, an denen ich nicht da- ran glauben kann, dass Gott mich heilen wird. Dafür habe ich viele Menschen in meinem nahen Umfeld, die für mich da- ran glauben können. Unabhängig davon, wann und wie ich Gottes Heilung erfahren darf, bin ich davon überzeugt, dass Gott mit mir ans Ziel kommt. Ich werde in meiner Berufung aufblühen und die Welt zum Guten verändern können.


Wie hast du gelernt, mit unerfüllten Wünschen zu leben, ohne deinen Glauben in Frage zu stellen?

Jesus ist nicht gekommen, um meine Wünsche zu erfüllen. Mein Leben wird nicht einfacher dank meines Glaubens. Vielleicht sogar im Gegenteil. Meine eigenen Wünsche stelle ich in den Hintergrund, denn ich möchte Gottes Wünsche für mein Leben entdecken und mich diesen verschreiben. Ich glaube aber auch, dass einige Wünsche, die ich in meinem Herzen trage, von Gott in mir gepflanzt sind. Diese Träume möchte ich verwirklichen. Trotzdem versuche ich, mir immer wieder vor Augen zu führen, dass nur Gott die Türen dazu öffnen kann und ich Teil von seinem großen Wirken sein darf. Den göttlichen Zeitplan kann ich nicht vollkommen verstehen, doch mein Vertrauen auf seine Güte ist davon nicht abhängig.


Interview_Deborah Pulverich

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