Interview mit Christin Müller

Deine Identität als Tochter Gottes

Sprüche 31 (Ein Loblied auf die tüchtige Frau) hat es in sich. Und genau darum geht es in deinem Buch. Was sagst du Frauen, die im Vorfeld schon kapitulieren und denken, dass man den „hohen Ansprüchen“ sowieso nie im realen Leben gerecht werden kann?

Wenn mir jemand diese Frage stellt, dann muss ich schmunzeln – denn das ist genau das, was ich auch lange gedacht und empfunden habe. Es kam mir vor wie ein Vorwurf an mich und mein Leben, wenn ich das Kapitel aus dem Buch der Sprüche las. Im Buch kläre ich auf, dass es ein großes Missverständnis ist, wenn wir es als Forderung an uns erleben, denn im Gegenteil – es soll ein Segen sein.

Man kann leicht denken, dass diese Verse „total altmodisch“ sind und zu unserem heutigen Frauenbild nicht mehr passen. Wie kam es dazu, dass du dich gerade mit diesem Kapitel der Bibel so intensiv beschäftigt hast?

Ich habe vor vielen Jahren von meinem Vater ein Hörbuch geschenkt bekommen mit dem Titel: Eine Mutter nach dem Herzen Gottes.

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© Michaela Nestler, Foto-Steinke

Er wusste, dass ich mich danach sehnte und ausstreckte, eine Frau und Mutter nach Gottes Herzen zu sein. So studierte ich nach diesem Hörbuch alle Stellen, die beschreiben, wie Gott sich eine Frau wünscht. Und Sprüche 31 ist ein großer Abschnitt, der uns viel darüber sagt.

Schön, schlank, erfolgreich: So muss Frau heute sein – das vermitteln zumindest viele Medien. Doch die Realität sieht bei den meisten anders aus. Du bist unter anderem gelernte Kosmetikerin. Welche Erfahrungen hast du mit diesem Erfolgsdruck gemacht – persönlich und bei deinen Kundinnen?

Mich interessiert sehr, woher dieser Druck eigentlich kommt. Eltern, Lehrer, Klassenkameraden, Leute aus der Clique ... oft liegt hier der Ursprung. Wenn man darüber nachdenkt: Was wurde zu mir gesagt? Was hat mich verletzt? Wo wurde solcher Druck ausgeübt, dass ich völlig überfordert war? – dann stößt man manchmal auf den Ursprung dieses verletzten Selbstwertgefühls. Wir alle hungern danach, anerkannt, geliebt und geachtet zu sein. Verletzungen, die wir ungeheilt mit uns herumtragen, führen dann schnell dazu, dass wir uns Modediktaten oder auch einem gewissen Lebensdiktat beugen. Denn Schönheit sieht merkwürdigerweise überall auf der Welt anders aus. In einigen Ländern ist Sonnenbräune angesagt, es wird gesprayt, gesonnt und gecremt. In anderen Ländern wird um jeden Preis gebleicht, weil Sonnenbräune verpönt ist. Hier bei uns ist momentan Schlanksein in. Es gibt aber auch Länder, wo dicke Frauen als chic gelten. Es gibt also kein allgemein gültiges Schönheitsempfinden. Jede Region und jede Epoche bringt ihre Ideale hervor. Aber wer bin ich? Was passt unabhängig davon zu mir? Diese Frage erfordert ein gewisses Selbstwertgefühl. Ein Gefühl für meinen Wert unabhängig vom Trend. Und hier findet man dann wahre Schönheit, im Einklang mit uns selbst. Bei meinen Kundinnen fand ich den Fokuswechsel oft sehr interessant. Wir alle haben Stellen an unserem Körper, die wir weniger gut finden, die uns vielleicht stören. Die sehen wir auch prompt zuerst, wenn wir in den Spiegel schauen. Bei mir sind das meine kräftigen Oberschenkel. Wenn ich also eine Hose anziehe, schaue ich zuerst: wie sehen die Oberschenkel darin aus?? Aber wir alle haben auch Teile, die wunderwunderschön sind, und den Blick darauf zu richten, hat manche meiner Kundinnen richtig befreit. Ich habe mir angewöhnt, Menschen zu sagen, was ich schön an ihnen finde. Ich weiß, dass sie längst alle Stellen kennen, die ihrer Meinung nach nicht perfekt sind, aber möglicherweise nicht wissen, was an ihnen faszinierend, einzigartig und schön ist. Wenn sie das von mir hören, fällt beim nächsten Blick in den Spiegel ihre Aufmerksamkeit genau darauf. Und wenn sie einmal anfangen, dieses Merkmal, diese Stelle für sich zu betonen, in Szene zu setzen, entwickelt sich bald ein ganz neues Gefühl, weil ich nicht nur vermeintliche Makel wahrnehme, sondern die Perspektive verschiebe hin zu dem Schönen, für das ich dankbar bin.

Du bist in einem evangelischen Elternhaus groß geworden und leitest jetzt mit deinem Mann eine jüdisch-messianische Gemeinde. Wie kam es dazu?

Ich bin evangelisch aufgewachsen und habe früh Interesse an der Bibel gehabt. Ich habe dann auch theologische Fernkurse besucht und viel gelernt. Mein Großonkel Heinrich Fiedelak unterstützte mich sehr bei meinen ersten Predigten und ich hatte in ihm und meinem Vater die besten Ansprechpartner, denn beide waren Prediger der Landeskirchlichen Gemeinschaft. Dann entdeckten wir einige Ungereimtheiten und Vorfahren, die jüdische Traditionen pflegten, selbst als es unter Strafe stand. Ich begann auch hier zu forschen und zu lernen. Hinzu kam, dass es in unserer Region schwierig war, eine lebendige Gemeinde zu finden. So ist die Gemeinde hier quasi aus einer gewissen Not heraus entstanden. Wir wohnen in der Nähe von Magdeburg und unsere nächsten messianischen Gemeinden waren die „Freie Messias Gemeinde“ von Johannes Heier in Hannover und in Berlin „Beit Sar Shalom“ mit Wladimir Pikman. Es macht Spaß dort Gemeinschaft zu haben; auf die Dauer ist das aber zu weit, und so begannen wir hier mit unseren Hausgottesdiensten.

Wenn man die Bibel durch die „jüdische Brille“ liest, erschließen sich ganz neue Welten, da viele Dinge eine tiefe Bedeutung haben, über die man sonst einfach hinwegliest. Welche biblische(n) Geschichte(n) hast du dadurch ganz neu verstanden? Was war dein Aha-Moment?

Oh, darüber könnte ich stundenlang erzählen. Viele meiner Podcast-Folgen handeln davon und ich habe ganz gewiss erst einen Bruchteil entdeckt. Mehrere Aha-Erlebnisse hatte ich zum Beispiel allein dadurch, dass ich ein Verständnis für Gottes Kalender bekommen habe. Jesus sagt in Matthäus 13,52, dass jeder Schriftgelehrte, der Jesus als den von den Propheten angekündigten Messias erkennt, einem Hausherrn gleicht, der aus seinem reichen Vorrat Altes und Neues hervorholt. Und das erlebe ich so oft. Wenn ich das sogenannte Alte Testament – die Basis – kenne, so wie es die Schriftgelehrten ja taten, dann verstehe ich, was Jesus tat und sagte. Warum er wie und wann welche Handlung auf welche Weise ausführte, und viele Dinge mehr. Meine wichtigste Erkenntnis war und ist, dass es in der Bibel keine Diskrepanz gibt zwischen dem neuen und dem alten Bund. Es ist ein Buch von einem Gott, der sich nicht ändert. Eine Sache, die man kurz erzählen kann, ist die Speisung der 5000. Es geschah um das Passahfest herum, also hatte der Kleine möglicherweise 5 ungesäuerte Brotfladen dabei. Dazu kamen 2 Fische. Gottes Wort ist das Brot für uns, Jesus ist auch in Bethlehem – Beit Lechem – zu deutsch „Haus des Brotes“ geboren. 5 steht für die Torah, die 5 Bücher Mose. 2 Fische stehen für das Volk Israel, was in 2 Völker geteilt war. Das Nordreich Israel und das Südreich Juda. Jesus teilt beides aus: Gottes Wort und Israel (indem es in die ganze Welt zerstreut wurde), und die Welt wird satt und sein Volk ist am Ende komplett, was die 12 Körbe mit den Resten erklärt. Gott wird sein Ziel in dieser Welt erreichen und wir sind ein Teil davon. Wir dürfen mitarbeiten, wir dürfen Brot (Gottes Wort) austeilen und dort, wo wir sind, hat der Herr uns „ausgeteilt“. Das ist sehr aufregend.

Bist du schon einmal in Israel gewesen – und wenn ja, was hat dich am meisten beeindruckt?

Ich bin bisher zweimal in Israel gewesen, den Rekord teilen sich in unserer Familie mein Mann und meine Tochter, die beide viermal dort waren. Wobei meine Tochter ein Semester dort studiert und gearbeitet hat. Das, was mich sehr beeindruckt, ist das Gefühl des Nach-Hause-Kommens, was man hat, wenn man in Israel ist, was übrigens sehr viele beschreiben. Ich mag eher ruhige Stellen, also nicht die Grabeskirche, sondern eher das Gartengrab, wenn ich Gott suche. Auch die Kotel, die Klagemauer, ist ein wichtiger Ort für mich. Viele Stellen im Land sind einfach deshalb so berührend, weil man sich die biblischen Geschichten, die sich dort zugetragen haben, dann besser vorstellen kann. Ich bin ein Flanellbilder-Kinderstundenkind gewesen und habe Personen und Handlungen vor einer weißen Fläche kennengelernt. Nun bekommt alles einen Platz, und biblische Informationen erschließen sich oft erst, wenn man die Geografie kennt. Ich liebe die kleine messianische Gemeinde in der Ha-Neviim-Street, die jeden Shabbat ihren Gottesdienst ins Englische übersetzt und sogar überträgt. Und natürlich mag ich den Shuk und die Ben Jehuda und Jaffastreet in Jerusalem.

Würde und Kraft sind dein Gewand

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