Interview mit Norbert Rose

In Deutschland leiden über 1,5 Millionen Menschen an Demenz. Für sie und ihre Angehörigen bedeutet das oft eine große Herausforderung. Norbert Rose bietet ganzheitliche Ansätze zum Thema 'Glaube und Demenz'. Dazu hat er ein Buch geschrieben.

Hilfe im Alltag mit Demenz

In Deutschland sind über 1,5 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Für sie und für ihre Angehörigen eine immense Herausforderung. Pastor und Autor Norbert Rose veröffentlicht jetzt ein Buch zum Thema. Unter dem Titel „Fremd und doch vertraut – Demenziell Erkrankte verstehen und im Glauben begleiten“ findet die Leserin, findet der Leser aufklärende Hinweise zum Krankheitsbild und praktische Hilfestellungen. Wir haben Herrn Rose einige Fragen gestellt:

Wo begengete Ihnen zum ersten Mal „Demenz“?

Meine erste Begegnung mit dem Phänomen „Demenz“ hatte ich während meiner ersten Arbeit als Gemeindepastor vor etwa 30 Jahren, als eine sehr liebe ältere Dame sich zunehmend sonderbar verhielt und auf jeden Versuch einer gut gemeinten Korrektur eine feindselige Haltung einnahm. Leider muss ich gestehen, dass ich zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Verständnis für die Verhaltensweisen von dementen Menschen besaß. Ich hielt mich zwar für umsichtig und klug, doch durch meine Reaktionen eskalierte die Situation. Die bis dahin vertrauensvolle Beziehung plötzlich punktuell belastet. Durch die „Gnade der Demenz“ hat die Dame auch das wieder vergessen. Ich brauchte allerdings noch mehrere Jahre, bis ich die Verhaltensmuster verstand.

Ihr Buch geht auf den Aspekt Glaube und Demenzerkrankung ein. Warum?

Manche (längst nicht alle) an Demenz Erkrankte erleben eine massive Veränderung ihrer Persönlichkeit. Eher mürrische, unfreundliche Persönlichkeiten können sehr freundlich werden. Menschen, die uns in ihrer Freundlichkeit, Güte und Geduld bekannt waren, können sich zornig, ungeduldig oder abfällig zeigen. Für mich war die Frage sehr wichtig, was in einem Menschen vorgeht, der durch seine Erkrankung auch seinen Glauben zu verlieren scheint. Umso mehr muss die Frage geklärt sein, was die Basis unseres Glaubens ist und worin unsere Glaubens- und Heilsgewissheit beruht. Sind wir nur so lange in der Hand Gottes, solange wir klar denken und ein persönliches Glaubensbekenntnis formulieren können? Kann ein Gläubiger durch eine neurologische Erkrankung sein Heil verlieren? Wie ordnen wir es ein, wenn ein dementer Mensch plötzlich Gedanken formuliert, die aus einer sehr frühen Phase seines Lebens wieder auftauchen (vielleicht nicht einmal eigene Formulierungen, sondern Sätze aus seinem früheren glaubensfernen Lebensumfeld sind)?

Haben Sie 3 Tipps, wie man Ängste vor dem Thema „Demenz“ abbauen kann?

Nachdem das Phänomen Demenz sehr viele Familien unmittelbar betrifft, wäre mein wichtigster Tipp, sich frühzeitig über die Erkrankung zu informieren und mit diesem Wissen auch den Kontakt zu dementen Menschen zu suchen. Die meisten dementen Menschen sind sehr umgänglich, wenn sie Menschen um sich haben, die sich mit dem Erkrankten in seiner inneren Welt einigermaßen frei bewegen können.

Mein zweiter Tipp wäre, möglichst früh auf eine gesunde Lebensweise zu achten. Zwar wissen wir noch immer nicht, was genau die Ursachen von dementiellen Erkrankungen sind; es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass auch die Ernährung eine große Rolle spielen könnte. Wenn möglich, sollten wir so lange wie möglich aktiv bleiben und möglichst lange auch soziale Kontakte zu pflegen. Demente Menschen können noch lange Dinge tun, die sie ein Leben lang getan haben (musizieren, singen, Gottesdienstbesuch, Restaurantbesuch, Konzerte usw.)

Drittes: sich gewiss bleiben, dass wir als Kinder Gottes in Seiner Hand bleiben werden – was immer auch in einer Demenz mit uns geschehen könnte. Es gibt keine Verheißung, dass wir nicht krank werden können. Wir haben aber eine Zusage, dass wir nicht „zuschanden“ (zur Schande!) werden.

Angenommen, ich plane einen Besuch bei einem an Demenz erkrankten Bekannten oder entfernten Verwandten. Was sollte ich auf keinen Fall tun?

Auf keinen Fall sollten wir den Dementen „zwingen“ wollen, wieder ganz „der Alte“ zu sein. Alle Formen von Kritik, Korrektur, Belehrung, Bevormundung oder Appell lösen eher negative Reaktionen aus. Ich weise gern auf „die drei B´s“ hin: Belehren, bewerten, befehlen ist gewissermaßen verboten! Folgender Grundsatz ist auch äußerst hilfreich: Der Demente hat immer (immer!) recht!

Was tut Menschen mit Demenz besonders gut?

Demente leben förmlich auf, wenn frühere, intakte Erinnerungen wiederbelebt werden. Erzählungen und Austausch über ihr früheres Leben bis zurück in die Kindheit aktivieren ganze Netzwerke im Gehirn. Dabei sind Bilder von früheren Wohnorten, Lebenssituationen und Weggefährten eine sehr große Hilfe. Ich beschreibe einiges davon auch in meinem Buch. Es ist nicht schwer, sich auf den Weg zu einem Menschen mit Demenz zu machen.

Sie sprechen Ihr Buch an. Es enthält neben wertvollen Informationen aus der Medizin und
Betreuung auch Andachten zu bekannten christlichen Liedern.  Welches ist ihre Lieblings-Andacht in dem Buch?

Da bin ich ganz eindeutig bei „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt“ an erster Stelle! Leider wird dieses Lied fast ausschließlich an Trauerfeiern gesungen, dabei ist es ganz eindeutig ein Lied für das Leben! Und vieles darin deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen: Die meisten meiner Pläne und Lebensentwürfe haben sich nicht erfüllt – und was ich heute lebe, habe ich so nie geplant! Und trotzdem darf ich mit großem Staunen sagen: Es ist so viel besser geworden, als ich selbst es gedacht oder geplant hatte! Wir können zwar nicht planlos und ohne Ziele durchs Leben gehen, sollten uns aber nicht irritieren lassen, wenn Gott unsere Pläne einfach durchkreuzt. „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“!

Vielen Dank, Herr Rose für das Gespräch und die wertvollen Anregungen in Ihrem Buch.

Zu Buch und CD gibt es passende Video-Andachten des Autors. Hier klicken und entdecken.

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Autor Norbert Rose
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