Timotheus, ein Mensch Gottes durch das Wort Gottes 3,14-17
14 Timotheus muß ermahnt werden nicht nur zum Ausharren in den Leiden und Verfolgungen, sondern auch zum Verharren in dem, was er empfangen hat. Vielleicht hat man sich ein zu niedliches Bild von Timotheus gemacht. Warum |96| um konnte das Zeugnis der Steinigung nötig gewesen sein, um einen leidenschaftlichen jungen Menschen für Jesus, den Erlöser, zu gewinnen? Warum die unverblümt direkte Mahnung, die jugendlichen Lüste und Begierden zu fliehen? Warum die Warnung vor übereiltem und hartem Handeln und die wiederholte Warnung vor den Irrlehrern, wenn bei Timotheus keinerlei Anlaß dazu vorlag? Darum der Ausruf: O Timotheus! Bewahre das anvertraute Gut, wende dich weg von der Pseudognosis (vom Scheinwissen), sonst wirst auch du vom Glauben abirren. Die Gnade allein bewahre dich davor. ( 1 Tim 6,20!) Darum das starke: Du aber bist mir nachgefolgt (und nicht einem Verführer), du aber bleibe und laß dich nicht wegführen von der offenbarten Wahrheit, von der Gestalt der Lehre in den gottgehauchten Schriften. Sie haben in dir den Grund gelegt. Was ich dir brachte, ist nichts anderes, als was die Schriften verkünden. ( 1 Ko 15,1-4) Prüfe an der Schrift Leben und Lehre bei mir ( 2 Tim 3,10-11) und bei dir. ( 2 Tim 2,15;1 Tim 4,16!) Wie du am Anfang gemahnt worden bist, im Glauben zu verharren, ( Apg 14,21) ausharrend in allen Drangsalen, so verharre jetzt in den Heiligen Schriften und laß dich nicht fortreißen in unheilige und leere Fabeln, Legenden, Spekulationen, Diskussionen hinein. Bewahre aus der Kraft der empfangenen Gabe (1,6) das Anvertraute im Geist (1,7.14), in der Gnade (2,1), in Christus (2,8), in der Bewahrung vor Gott (2,15), auf dem festen Grund (2,19), in der fortwährenden Reinigung (2,21), in der Gemeinschaft (2,22).
Im Unterschied zu denen, die immer lernen und doch nie zur Gewißheit gelangen, im Glauben nicht wachsen, hat Timotheus gelernt und ist zur Überzeugung gekommen in der Wahrheit, die sich in seinem Leben auswirkt. Er hat gelernt als ein Schüler des Paulus, aber er ist über das Schüler-Lehrer-Verhältnis hinausgewachsen und zur eigenen Gewißheit gelangt. Er glaubt nicht mehr nur, weil und was Paulus glaubt. Wie Paulus kann er sagen: Ich weiß, wem ich geglaubt habe (1,12). Du weißt, von wem du gelernt hast. Geht es hier um den Inhalt des Evangeliums allein? Oder auch um den Vermittler? Wer hier einen Widerspruch oder eine Verfälschung des Ursprünglichen zu sehen meint, verkennt die Einheit von Leben und Lehre. Paulus bekennt: Ich weiß, wem ich geglaubt habe. Irrlehrer sind darum so verführerisch, weil sie dieselben Worte und Sätze gebrauchen und unbemerkt ins Gegenteil verkehren können, sei es durch schlaue Akzentverschiebungen, sei es durch Auslassungen oder Hinzufügungen. Richtige Worte können durch die Auslegung eines falschen |97| Lebens verfälscht werden! Darum die Verbindung von Person und Sache, von Inhalt und Form, von Leben und Lehre. Dringlich ist die Mahnung: Du hast es gut, denn du weißt, was du lerntest von Kindheit an, das Wort der Wahrheit von Gott, und du weißt, von wem (im Plural, also sind die Vorahnen von 1,6 samt Paulus mit eingeschlossen, wenn nicht auch noch andere Lehrer); du weißt das, und trotzdem bist du in Gefahr, aus dem Darinbleiben herauszugehen, mit kleinen Schritten vielleicht, allmählich, aus Schwachheit oder Neugier. Man beachte den Unterschied: "Du bist mir nachgefolgt" - das ist eine Feststellung, wenn nicht auch eine Bestätigung, ja ein Lob der Treue. Dagegen: "Du aber bleibe" - das ist eine Aufforderung, nicht ohne warnenden Unterton, darum die ständigen, scheinbaren Unterbrechungen, die kurzen Hinweise auf abschreckende Beispiele.
15 Und weil du von Kindheit an mit den Heiligen Schriften vertraut bist, die imstande sind, dich weise zu machen zum Heil durch den Glauben, der im Messias Jesus ist.
Von Kindheit an. Zu Hause und in der Synagoge wurden die Kinder vom 5. Lebensjahr an zum Lesen der atl Schriften erzogen; von früher Kindheit an: Lk 2,2.16;18,15;Apg 7, 19;1 Pt 2,2[ A ].
A) Ein kurzer Hinweis auf die atl Unterweisung des Kindes im Wort des Herrn sei wenigstens in Form einer Übersicht von diesbezüglichen Schriftstellen gegeben: 1 Mo 18,19;2 Mo 10,2;12,26.27;13,14-16;5 Mo 4,9-10;6,7.9;11,19;32,46. Inhalt der Unterweisung: Spr 1,7;9,10;Pred 12,13. Verantwortung der Eltern und Gehorsam der Kinder: Spr 1,8;6,20;2 Mo 20,12;21,15-17;5 Mo 6,1-3 (Jes 38,19), Hiob 1,5;1 Sa 1,27.28;2,11.18.19;Spr 22,6. Zucht: Spr 13,24;23,13.14;17,10;Ps 103,13; Jos 24,15;Jes 28,10. Wenn die Kinder fragen: 2 Mo 13,8;5 Mo 6,7;6,20-25;11, 9;Jos 12,26-28. Nach dem Exil entstanden verschiedene Schultypen, die sich dann etwa zwei Generationen vor Christus zum Unterricht in der Synagoge entwickelten.
Die Heiligen Schriften: ta hiera grammata, Pl., im AT reich belegt. Für Paulus ungewöhnliche Form, da er sonst den Sg. verwendet. In Rö 1,2: en graphais hagiais, Gott hat durch die Propheten mittels der geschriebenen Worte gesprochen. Der Ausdruck "Heilige Schriften" läßt an den Gebrauch der atl Bücher im Gottesdienst denken; vgl. Lk 4, 16-22.
Du bist vertraut. Du bist im Bild darüber, du kennst sie; den Juden sind die Aussprüche Gottes anvertraut worden (Rö 3,2).
Die imstande (mächtig) sind: ta dynamena, gibt an, warum die Heiligen Schriften hier überhaupt erwähnt sind. Sie sind |98| von dynamischer Wirkung, sie haben "die Kraft zum Heil" (Rö 1,16); vgl. Hb 4,12: energes (Energie). Die von alters her geschriebenen Aussprüche Gottes haben jetzt in der Gegenwart die Kraft, einen Menschen zur einzig nötigen Weisheit zu führen, welche das Heil Gottes aufschließt.
Dich weise zu machen. Sie können dich mit Weisheit erfüllen zur Erlösung aus Glauben; steht im Gegensatz zu den Irrlehrern, die sich ihrer Weisheit rühmen (I 1,7;4,3;6,20.21; II 4,3-4). Das Zeugnis des Herrn macht weise: Ps 19,7;18,8; 119,98. LXX das gleiche Verb wie hier. Im NT: Weisheit ist geistgewirktes Wissen von Gott. Apg 6,3.10;1 Ko 1,24.30;2, 6;Eph 1,8.19;3,10;Jak 1,5;3,13.15.
Zum Heil. Der schöne, von Luther gebrauchte Ausdruck "Seligkeit" verleitet dazu, nur an die jenseitige Welt zu denken. Das Heil ist umfassend für diese und jene Welt. Soteria, oft bei Paulus (Rö 11,11;Phil 1,19;2,12). Der Messias als Erfüllung des AT: Lk 24,27.32.44;Jo 5,39.46;Apg 3,18.24; 7,52;10,43;1 Pt 1,10. Weisheit ist Heilsweisheit, gewirkt vom Heiligen Geist, wie Wahrheit rettende Wahrheit ist. Wir haben es hier nicht mit einem intellektualistischen Wissen über die Heilige Schrift zu tun. Das zeigt der Doppelbezug der Weisheit
1. zum Heil,
2. durch Glauben.
Durch den Glauben. Inhaltlich wie Rö 1,16. charakteristisch für Paulus. Nicht schon das bloße Lesen und Lernen schafft Heil; wenn der einzelne nicht zum Glauben kommt, hat die Schrift ihr Ziel bei ihm verfehlt. Der Lobpreis des AT, das zum Glauben an den Messias führt, ist typisch für Paulus.
Der im Messias Jesus ist. I 3,13; das Endziel des Gebotes, des AT überhaupt, ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben, der geistgewirkte Glaube an den Messias Jesus allein als Retter und Erneuerer des Lebens, der betont am Schluß steht: das Ziel der Heiligen Schrift, ihrer Unterweisung, ihrer zum Glauben führenden Weisheit, ihres Heils ist der Messias Jesus Christus.
16 Alle Schrift ist von Gottes Geist eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Wiederherstellung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit. Der vierfache Nutzen der Heiligen Schriften begründet, warum und inwiefern sie weise zu machen vermögen zum Heil: Sie haben diese Fähigkeit (s. V. 15: ta dynamena), diese göttliche Dynamik, weil sie aus Gottes Geist entstanden sind und von demselben Geist gebraucht werden. Zunächst sei wieder jedes einzelne Wort betrachtet: |99|
Alle: pasa, kann bedeuten: jede, alle, ganz; Rö 11,26: ganz Israel; Apg 2,36. Eph 3,15: jedes Geschlecht. Kol 4,12: in allem. Darum umschreiben wir: die ganze Schrift, gesehen in jedem einzelnen Teil und gleichzeitig: jede einzelne Schriftstelle als Teil des Ganzen (wie Eph 2,21: der ganze Bau ist zusammengefügt aus den einzelnen Teilen). Vgl. 1 Ko 12,12. 13: was hier vom Christusleib gesagt wird, das gilt auch für den Wortleib: denn die wie die Schrift nur eine ist und doch viele Schriftstellen hat, alle Schriftstellen aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden, so auch der Christus. Siehe dazu II 1,13: "Die Gestalt (Sg.) heilsamer Worte" (Pl.) - Singular und Plural zusammen genannt, das Ganze und die Teile: als geistgewirkte Wortgestalt.
Schrift: graphe, ohne Artikel, müßte für die Übersetzung "jede Schriftstelle" sprechen; doch "Schrift" kann auch ohne bestimmten Artikel den Sinn haben von "die Schriften"; 1 Pt 2,6: en graphe ist sinngemäß zu übertragen: darum steht in der Schrift folgende Schriftstelle; 2 Pt 1,20: hoti pasa propheteia graphes: "keine einzige Weissagung der (ganzen) Schrift."
Der ntl Gebrauch für das AT: "die Schrift sagt" kann aber auch Schriftstelle bedeuten, irgendeinen Text der Bibel, einen Gottesspruch (Jo 19,36.37;20,9;Apg 1,16;8,32;Rö 16,26; 1 Pt 2,6). Also haben die beiden Worte "pasa" und "graphe" gemeinsam, daß sie sowohl das Ganze wie jede einzelne Stelle als Teil des Ganzen und alles als sämtliche Teile des Ganzen bezeichnen können. Holtz übersetzt: "Jede Bibelstelle ist von Gottes Geist eingegeben und nützlich zur Lehre." (186) Unsere Übersetzung aber soll den in der Schwebe gehaltenen Doppelsinn bewußt offenlassen: sowohl die ganze Schrift wie auch jede einzelne Bibelstelle. S. I 5,18! Die Texte der Apostel können nicht ausgeschlossen werden von dem in II 3,16 Bezeugten. Beinahe alle ntl Schriften existierten bereits um die Zeit, da II Tim, der letzte Brief des Apostels, abgefaßt ist. Schon sein ältester Brief gibt zu erkennen, daß Paulus sich dessen bewußt ist, im Auftrag Gottes zu schreiben: 1 Th 5,27; 1,5;2,13;5,20;2 Tim 2,2;3,14; vgl. 2 Pt 3,15-16. wo die Briefe des Paulus bereits den übrigen Heiligen Schriften, d. h. dem AT, gleichgestellt werden.
(Ist) von Gottes Geist eingegeben. Die Kopula (ist) fehlt im Griechischen, was für die Übersetzung einige Unsicherheit mit sich bringt. Ist aber bekannt in den Past: I 1,8.15, beide Male ohne Kopula. Theopneustos (nur hier): zusammengesetzt aus theos = Gott und pneustos = gehaucht (von Pneuma = der |100| Geist), also: gottgehaucht. In dem aus dem Lateinischen übernommenen Wort "inspiriert" ist ebenfalls der Hinweis auf den Geist (spiritus, lat.) enthalten, was in "eingegeben" verlorengeht und deshalb ergänzt werden muß: "geist-gegeben". Alle Schrift ist geistgegeben, geistgewirkt. Dieses Verständnis der göttlichen Inspiration der Heiligen Schriften unterscheidet sich nicht von den atl Zeugnissen. Wenn auch das Wort nur hier vorkommt, so ist doch die Sache, die es bezeichnet, bei Paulus überall anzutreffen, denn sie liegt seinem Schriftverständnis zugrunde, Rö 1,17;3,4.10;8,36;1 Ko 9,9[ A ].
A) Zum Selbstzeugnis der Bibel über ihre Inspiration: 2 Mo 20,1;2 Sa 23,2;Jes 8,20;Mal 4,4;Mt 1,22;Lk 24,44;Jo 1,23;5,39;10,34.35;14,26;16,13;119,36;20,6;Apg 1,16;7,38;13,34;Rö 1,2;3,2;4,23;9,17;15,4;1 Ko 2,4-10;6,16;9,10; 14,37;Gal 1,11-12;3,8.16.22;4,30;1 Th 1,5;2,3;Hb 1,1.2;3,7;9,8; 10,15;2 Pt 1,21;3,16;1 Jo 4,6;Offb 22,19.
Nützlich. I 4,8;Tit 3,8.9. Die Schrift ist nützlich, sie kann gebraucht werden für eine Aufgabe, die in vier Schritten entfaltet wird. Wie sind nun die Worte "alle Schrift", "gottgehaucht", "nützlich" miteinander zu verbinden? Das hängt zum Teil von dem Verständnis des griechischen Wortes "kai" ab, das entweder mit "und" oder mit "auch" übersetzt werden kann. Wir entscheiden uns für "und" in Anlehnung an I 4,4: alles von Gott Geschaffene ist gut und nützlich, wo über das von Gott Geschaffene zwei Aussagen gemacht und miteinander verbunden werden. Damit haben wir gleichzeitig entschieden, wie wir "theopneustos" beziehen wollen: nicht als ein die Schrift beschreibendes Adjektiv: "gottgehauchte Schrift", sondern als Prädikat, d. h. als erste Aussage über die Schrift: sie ist 1. gottgehaucht und 2. nützlich. Ein Streit um Worte ist hier allerdings weder nützlich noch notwendig, denn grammatikalisch ist es durchaus möglich, das Wort theopneustos adjektivisch, also mit "gottgehauchte Schrift", zu übersetzen. Was wird dann aber aus dem "kai"? Man vgl., wie in diesem Fall I 4,4 lauten würde: Jede gute Kreatur ist auch nicht zu verwerfen. Vgl. zu I 4,4 auch I 1,8.15. Da für Paulus wie für Timotheus vom AT her klar ist, daß jede Schrift inspiriert ist, würde die adjektivische Verwendung zugleich eine tautologische Aussage ergeben, d. h. dasselbe würde zweimal gesagt: jede gottgehauchte Inspirationsschrift. Wenn aber Paulus und Timotheus das wissen, weil sie beide von Kind auf in diesen Heiligen Schriften unterwiesen worden sind, warum schreibt dann der Apostel darüber? Er erinnert ihn an das, |101| was er weiß, weil er das jetzt ganz neu in Herz und Gedächtnis fassen und erwecken muß angesichts der Irrlehrer, die schon da sind und die noch kommen werden, da die heilsame Lehre nicht mehr erträglich und annehmbar - heute sagt man: nicht mehr "zumutbar"! - erscheint, sondern haufenweise neue Lehrer neue Lehren und Schriften ein- und aufbringen (II 4,3-4).
Daß die Bibel inspiriert ist, bedeutet, daß sie Geist und Buchstabe vereinigt, eben weil Gottes Geist sie hervorgebracht hat durch die Propheten (und Apostel). Jeder in Schrift gefaßte Gottesspruch ist gottgehaucht und darum für die Gemeinde mit Autorität versehen. Die biblischen "Schriftsteller" waren nicht eigenmächtig von ihren Vorstellungen, Wünschen und Lüsten, geschweige denn vom Vater der Lüge inspiriert (wie die Irrlehrer II 2,26;3,13;4,4;Jo 8,44;2 Ko 11,13-15), sondern von Gottes Heiligem Geist bewegt (2 Pt 1,21). Der Wille Gottes, nicht der Wille des Menschen, stand am Anfang jeder Schrift, die heilig genannt ist. Wilckens zu 2 Pt 2,21: "Die Vorstellung göttlicher Eingebung war in der Antike weitverbreitet und ist im späteren Judentum auch als Erklärung für die göttliche Autorität des AT benutzt worden." Mit solchen Erklärungen (Übernahme von weitverbreiteten Vorstellungen) ist aber das Entscheidende keineswegs erklärt: sowohl innerhalb des AT wie des NT sind wahre und falsche Propheten aufgetreten. Daß der heilige Geist die Schrift eingegeben hat, ist nur eine formale Erklärung, wenn nicht deutlich wird, daß eben dieser Geist die Schrift als von Gott gekommen an den Menschen bestätigt, die sich ihrem Anspruch, Wort und Autorität Gottes zu sein, unterstellen. Genauso ist auch der Sinnzusammenhang unserer Stelle II 3,16: Wie kannst du beurteilen, ob mein Evangelium Gottes Wort ist? Messe es an der Wirkung, die es auf mich und dich ausübte, wie es uns die Rettung in Christus brachte durch den Glauben, indem Gottes Wort uns überführte, uns zurechtwies und in der Gnade erzog. Gebrauche so die Heilige Schrift, und du wirst erkennen, wie Gott zu seinem Wort steht. Aber in Wortkämpfe lasse dich nicht ein! Der Heilige Geist, der die Schrift durch den Mund von Propheten gegeben hat, wird eben diese Schrift zur Überführung von Irrlehre und Irrleben gebrauchen.
Die Schrift hat, weil sie geistgegeben ist, "bleibende Geltung und immer neue Wirkung" (Schlatter, 259).
Oft wird gegen die Inspiration der Heiligen Schrift angegangen, |102| indem man unhaltbare Theorien aufgreift und ihre Unmöglichkeit demonstriert. Schon Philo verbreitet die Meinung, daß die menschliche Geistestätgkeit beim Vorgang der Inspiration ausgeschaltet werde zugunsten des göttlichen Geistes im Propheten; so schon bei Plato, doch nirgends im AT, denn das wäre eine dualistisch-mechanistische Vorstellung, typisch für hellenistisches, aber nicht für biblisches Denken, das eine ganzheitlich geschichtliche und damit eine "organische" Anschauung von Gottes Wirken in und mit Menschen hat. Von daher ist es gegeben, das Bekenntnis des Glaubens zur Heiligen Schrift ganzheitlich auszudrücken: Wir glauben, daß Gottes Geist am Wirken war für den ganzen Entstehungsprozeß der Bibel, darin eingeschlossen redaktionelle Verarbeitung von Quellen, Endgestalt der einzelnen Bücher und schließlich auch das geschichtliche Werden des Kanons. Gewiß, die Bibel ist geschichtlich geworden, aber ihre Geschichte ist spezifische Gottesgeschichte mit und durch Menschen. Die Bibel, wirklich von Gottes Geist durch wirkliche Menschen geschrieben und zustande gekommen, gleicht wohl allen anderen geschriebenen Büchern und unterscheidet sich doch so von ihnen, wie Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch allen Menschen wirklich gleicht und doch gleichzeitig sich von ihnen grundlegend unterscheidet als der Eine. Die eine Schrift des alten und neuen Bundes kündet den einen Mittler für alle Menschen.
1. Nützlich zur Lehre (didaskalia, vgl. den Wortgebrauch in der Pädagogik; Didaktik). Steht am Anfang wie V 10; vgl. I 5,20;Tit 1,9-13;2,15. In den Past hat die Lehre wohl einen besonderen Akzent, weil die Irrlehre überhand nimmt, doch steht die Lehre im ganzen NT - und nicht erst in den Past - immer am Anfang, denn sie ist die Grundlage des neuen Lebens. Apg. 2,42: Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel; vgl. II 3,14: Du aber verharre ... in der Schrift; Eph 2,20: aufgebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, wobei der Messias Jesus sein Eckstein ist.
Was bedeutet "Lehre"? Sie vermittelt Verständnis für den Zusammenhang göttlichen Handelns und göttlicher Weisung. ( 2 Tim 1,13.14) Die Schrift ist nicht selbst schon Lehre, aber sie ist nützlich zur Lehre. Das eben ist der Dienst am Wort, worin ein Arbeiter sich vor Gott zu erweisen hat, daß er das Wort der Wahrheit richtig austeilt, es im Zusammenhang der göttlichen Offenbarung auslegt. ( 2 Tim 2,15) Hierin ist die Hauptaufgabe der Theologie |103| als Dienst am Wort zu sehen[ A ]. Die Lehre allein aber ohne das entsprechende Leben kann nicht im rechten Zusammenhang bleiben. Deshalb genügt Orthodoxie allein nicht, denn die rechte Lehre muß fähig sein, vom Unrecht zu überführen; die Wahrheit muß sich an dem Gewissen dadurch erweisen, daß sie alle Unwahrheit aufdeckt. ( 2 Ko 4,2.5;1 Ko 14,24.25)
A) Zu Lehre und Belehrung bedarf es der Erneuerung des Denkens: Rö 12,2;1 Ko 9,9.13; Gal 3,6;4,22;Apg 17,2;8,35; das eine Musterbeispiel für die Anwendung der Bibel zur Belehrung, die zum Heil führt, ist das Gespräch des Philippus mit dem Schatzmeister aus Äthiopien: Apg 8,26-40.
2. Überführung (elegmos) nur hier im NT; Aufdeckung sowohl der Schuld wie der Wahrheit. Das Verb (elencho) in Tit 1,9.13 gibt denselben Zusammenhang ausführlicher: "Aufgrund der gesunden Lehre ermahnen und die Widersprechenden überführen." Das kann sowohl für Irrlehrer wie für Gemeindeglieder gelten. Jak 2,9;Eph 5,11.13;Mt 18,15: unter vier Augen zur Rede stellen; I 5,20: die, welche sündigen, in Gegenwart aller überführen und zurechtweisen;1 Ko 14,24: wo Rede aus Eingebung ist, wo der Geist aufgrund einer Weissagung in eine konkrete Lage hinein spricht, da wird ein Mensch von allen (in denen der Geist wirkt) überführt, von allen erforscht, und er fällt auf sein Angesicht nieder und betet Gott an - als Ausdruck des Überführtwordenseins in Beugung vor Gott. Er erkennt und bekennt: so bin ich, sein Wort ist wahr an mir. Vgl. Jo 16,8-11: der Heilige Geist wird überführen von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Ps 38,14-19: das Bekenntnis eines überführten Menschen.
Wer von der Wahrheit seiner Schuld überführt wird, der ist beschämt. Überführen heißt aber nicht, einen Menschen in der Beschämung stehen lassen, sondern ihn zum Bekenntnis, d. h. zum Eingeständnis der Sünde vor Gott zu führen und ihn dann der Vergebung von Gott her zu vergewissern, wie das der Prophet Nathan mit David getan hat. ( 2 Sam 12,1-25;Ps 51) Das ist das Musterbeispiel für prophetische Überführung aufgrund der Weisung Gottes (oder der Schrift). Über die Reue hinaus zum Bekenntnis führen, das ist schon der erste Schritt zur Wiederherstellung.
3. Wiederherstellung (epanorthosis, nur hier), Zurechtweisung = wieder den rechten Weg weisen, der verlassen worden ist, den Sünder zurückführen. Wer viele zum Leben in Gerechtigkeit zurückführt, der ist weise, er rettet Menschen vom Tode. ( Dan 12,3;Jak 5,13-20) Der Reuige soll wieder aufgerichtet werden. Er wurde auf dem falschen Weg gestoppt, von seinem verfehlten Treibern überführt (2.). Jetzt soll er auf den rechten Weg zurückgeführt |104| werden (3.). ( vgl.Ps 1;139,1.23.24) Wiederherstellung ist ein Tun des Erbarmens, während Überführung mit Entschiedenheit, ja Strenge geschehen kann, wobei Strenge nie dasselbe ist wie Härte. Man denke an die Anklagerede des Stephanus, dessen Angesicht dabei leuchtete wie das eines Engels und der für diejenigen im Gebet eintrat, die ihn steinigten und die er zu überführen versucht hatte. Ihr Knirschen mit den Zähnen zeigt ihre Verschlossenheit, sein Angesicht und vergebendes Bitten offenbart seine Offenheit. ( Apg 6,10.15;7,51-60) Diese Rede zeigt übrigens den Ernst der Lage, auch für die Past. Auch und gerade dem Zeugen, durch den der Heilige Geist auf Grund der Schrift die Herzen und Gewissen überführt, kann und wird Verfolgung und Widerstand bis zum Martyrium entgegengebracht werden, wenn sich die Menschen verhärten.
Das Musterbeispiel wunderbarer Wiederherstellung nach dem Fall und den Tränen der Beugung ist das Gespräch des Herrn mit seinem Jünger, der ihn dreimal verleugnet hat. ( Jo 21,15-19)
4. Erziehung in der Gerechtigkeit (paideia; Pädagogik!), eigentlich mit dem heute oft gebrauchten Wort „Training' gut zu übersetzen; ebenso aus der Sportswelt: in Kondition bringen. Vgl. II 2,22;Tit 2,11-14: Gottes Gnade erzieht! Nicht strenger Rigorismus wird vor alten Wegen und Abwegen bewahren, sondern geduldiges Anleiten wird die Füße befestigen auf dem neuen Weg. Paideia meint die Formung des Menschen im äußeren wie im inneren Leben; auf die Vervollkommnung hin trainieren, aber nicht unter dem Gesetz, sondern unter Gnade. ( Mt 5,48;Rö 6,14;Phil 3,12-17)
Eph 6,4: Die Kinder erziehen in der Zucht und Ermahnung des Herrn. Um beim Wort "Erziehung" ein bloß philosophisch-pädagogisches Bemühen und Verständnis abzuwehren, steht hier: Erziehung in der Gerechtigkeit: Gestaltwerdung, Menschwerdung des Menschen ja, aber zum Menschen Gottes (17), dessen Menschsein in Gottes Gerechtigkeit, in Gottes Gerechtsprechung und Gottes Gerechtmachung wurzelt. I 6,11: Du aber, o Mensch Gottes ... jage der Gerechtigkeit nach.
17 Damit der Mensch Gottes voll zubereitet sei und zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet. Das Wort Gottes erweist seine inspirierte Vollmacht und Nützlichkeit darin, daß es den Menschen Gottes hervorbringt. Der Mensch Gottes ist im besonderen der Lehrer der Wahrheit. ( 1 Tim 6,11!) Mann Gottes ist schon im AT vor allem der Titel für den Propheten, en Mann, der Gottes Aussprüche sagt. Aber alle Gläubigen |105| sollen zur vollen Reife des Mannesalters in Christus heranwachsen. ( Eph 4,12.13) Der vielfache Gebrauch der Heiligen Schrift zielt auf die geistliche Reife in Christus. Wilckens übersetzt: "So soll der Gott-Mensch in uns voll ausgebildet werden." Christus soll in uns Gestalt gewinnen. ( Gal 4,19)
Das Ziel ist nicht einfach menschliche oder christliche Vollkommenheit, die man bewundern kann, nicht der fromme Selbstzweck, was nur eine Zerrform der Selbstsucht (3,2) wäre, sondern das Handeln der Liebe aus Liebe. Vgl. Kol 1,28-29: "Ihn verkündigen wir, indem wir jeden ohne Unterschied zurechtweisen und jeden ohne Unterschied in aller Weisheit unterrichten, um jeden einzelnen geistlich reif darzustellen in der Lebensgemeinschaft mit Christus" (A).
Zubereitet (artios); vollständig, Englisch: efficient. W." „So daß er in jeder Hinsicht fähig wird, Gutes zu tun.“
Zu jedem guten Werk. Siehe II 2,21: der innere Zusammenhang ist klar. Wie kann Timotheus sich reinigen, so daß er für den Hausherrn brauchbar wird? Der Abschnitt 3,10-17 zeigt es ihm deutlich. Vgl. I 5,10; Tit 3,1.
Ausgerüstet (exartizo); betont und unterstreicht den gleichen Gedanken. Ein Schiff wird ausgerüstet mit allem Nötigen und zur Abfahrt vorbereitet; wie Tit 2,11-14 für das ganze Volk Gottes ausgesagt. "Nicht tote Erinnerung an einmal Gelerntes, sondern ein Aushalten in der Schule Gottes, ein Stehen in der Wirkung des Geistes, die in jeder Schriftstelle Gegenwart und Wirklichkeit wird" (Brandt, 140). Das macht den Mann Gottes aus.
Man darf dieses Endziel des Mannes Gottes in keinen Fall oberflächlich und farblos verstehen, als ein billiges und schwächliches Nett- und Nützlichsein gegenüber allen Menschen. Der nachfolgende Abschnitt öffnet mit letztem Ernst die Tiefe und Tragweite des Dienstes, Den Timotheus vollbringen soll (II 4,5).
Ja, der Bezug auf die Bedeutung der Heiligen Schrift weist für sich schon auf den ernsten Hintergrund kommender und vielleicht schon einsetzender Verfolgung hin: Diokletian wird die Christen verfolgen lassen, weil die Kirche die Einheit des Reiches zerstöre. In den Heiligen Schriften erkennt er eine Hauptstütze des Christentums. Darum verlangt er die Auslieferung aller Heiligen Bücher und läßt sie öffentlich verbrennen. Dieser Erlaß wurde später verschärft. Häuser, in denen versteckt gehaltene Heilige Schriften entdeckt wurden, |106| hat man zerstört. Die Zahl der Bibeln ist um jene Zeit bereits groß. Auch von den Gegnern werden sie gelesen. Der Diakon Euplos von Catania auf Sizilien wird beim Lesen der Evangelien überrascht. Mit seinen kostbaren Schriften muß er vor den Richter. Der läßt ihn die Evangelien um den Hals hängen (wie ein Amulett zum Hohn) und ihn so enthaupten[ A ].
A) Zietiert bei I. Leipoldt, Heilige Schriften, S. 194.
So ist der Hinweis auf die Heiligen Schriften nicht ein Zeichen der Verfestigung und Verhärtung des ursprünglich pneumatischen Glaubens, sondern vielmehr erneuter Hinweis auf Verfolgung und Martyrium um des willen, den die Schriften offenbaren.
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