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  Von: "Silke Meier" Aus: "jesus.de"

  Vor ein paar Tagen wurde die wohl schillerndste Persönlichkeit der deutschen Justizlandschaft 85 Jahre alt. Jahrzehntelang war er in den Gerichtssälen zwischen Kiel und Konstanz zu Hause und auf den Autobahnen von da nach dort viel zu schnell unterwegs. Heute lässt er es ruhiger angehen und schnippelt mit seiner Frau an den Blumen im eigenen Garten. Rolf Bossi.
  
  Als Strafverteidiger ist er bisweilen immer noch tätig. Denn, so schreibt er in seiner Autobiografie, in dieser Arbeit sieht er den Sinn seines Lebens. “Meine Antriebskraft ist es immer gewesen, Menschen zu helfen, die ansonsten nicht nur keine Hilfe bekommen, sondern die geballte Ablehnung, oft genug den Hass der Gesellschaft spüren.” Man möchte sagen, den Weg und den Willen zu diesem Berufswunsch erklärt er sachlich und kompetent. Doch bei genauerem Hinsehen ist Rolf Bossi höchst kompetent, aber ungern sachlich. Es ist eine familiäre Geschichte, die ihn zu dem gemacht hat, der er noch immer ist: ein erfolgreicher, eigenwilliger, streitbarer und hochintelligenter Anwalt. Sein Vater, unter dem Nazi-Regime erschossen, war der Auslöser für das Studium der Rechtswissenschaften. “In meinen Augen bildet das Strafrecht den Wesenskern des freiheitlichen Rechtsstaates. Nirgends greift der Staat so unmittelbar und tief in die Rechte und Freiheiten seiner Bürger ein wie im Falle der Ahndung schwerer Straftaten.”
  
  Freilich blieben die Familie, die Freunde, das Spirituelle und der Glaube all die Jahre auf der Strecke. Erschütternd nüchtern erzählt Rolf Bossi von dem Verlust seiner Tochter und seinem Versagen als Vater. Einseitig betrachtet mag der Leser den Eindruck gewinnen, der Fall und das Schicksal des Jürgen Bartsch spielten im Leben des Rolf Bossi eine größere Rolle als das der Tochter. Doch würde man ihm damit weder als Vater, noch als Anwalt gerecht werden. “Hier stehe ich… und kann nicht anders” -hinter diesem Titel verbirgt sich auf 175 Seiten die Rückschau auf ein beruflich erfolgreiches Leben, das ganz spät noch eine Wende nimmt. “Ich habe manches erreicht. Und doch habe ich im Grunde alles verloren.” Dabei betrübt Bossi den Leser nicht und hält keine Moralpredigten, wie man es besser machen sollte. Größtenteils bleibt er bei den Themen, von denen er am meisten versteht: Prozesse und Protokolle, Rechtsbeugung und Beweiswürdigung, Berufung und Revision.
  
  Spricht er von Theologie, meint er sein Verständnis von Schöpfung und kommt ohne lange Umschweife auf Statistiken zu weltweit hungernden Kindern und den Raubbau an Energieressourcen. Bossi schwadroniert über Machteliten und Kasino-Kapitalismus. Vielleicht möchte man ihm die Arroganz vorwerfen, zu glauben, er sei der einzige, der den Mund auftut für die Schwachen und Armen. Und selbst das wäre mitunter auch leiser gegangen.
  
  Trotzdem: “Hier stehe ich” ist ein eindrucksvolles Dokument eines Politstars aus dem Genre der Justiz. Und als solches lesenswert.