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Artikelbeschreibung
"Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht Grüfte und Grabmäler Gottes sind?" - so fragte einst Friedrich Nietzsche. Doch Gott ist im wissenschaftlichen Horizont nicht "tot" , sondern "lebendiger" als man vermuten könnte.
In der postmodernen Zeit wächst eine neue Offenheit für religiöse Ideen, sogar für den Gott der Christen. Doch nimmt die christliche Gemeinde diese Herausforderung überhaupt wahr? Ist sie nicht selbst im postmodernen Denken verhaftet, wenn nicht gar gefangen? Eine spannende Analyse eines profilierten Denkers.
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"ichthys"
Vier theologische Refexionen auf das Phänomen der Postmoderne soll das Editionsprojekt „Wie die wahre Welt zur Fabel wurde“ des Systematikers HEINZ-PETER HEMPELMANN bieten, wenn es abgeschlossen ist. Bisher erschienen sind der grundlegende Band 1 und dieser Band 4., der seinen Titel - wie das ganze Projekt und alle seine Bände - dem berühmt-berüchtigten Nietzsche-Aphorismus über den Tod Gottes verdankt. Im ersten Kapitel (31-61) wird mit FRIEDRICH NITZSCHE und JOHANN GEORG HAMANN der Verlust des modernen Ideals einer universalen Vernunft beschrieben. Aus diesem Verlust aber folgt auch das Ende eines universalen Wahrheitskonzepts - deshalb steht die Kirche heute so „anachronistisch“ (46) da, wenn sie „die Wahrheit“ bezeugen will. Diesen Anachronismus zumindest einmal ehrlich anzuerkennen, die Unverständlichkeit von starken Wahrheitsansprüchen in einer postmodernen Gesellschaft wahrzunehmen, gehört also zu den theologischen Grundbedingungen kirchlicher Arbeit.
Bereits in diesem Zusammenhang umreißt HEMPELMANN dann „[s]ieben notwendige Einsichten“ für die Verkündigung des Evangeliums in der Postmoderne, die als eine Art Kondensat den weiteren Ausführungen vorangestellt werden (50-61): 1. Auch in einer Atmosphäre „privater Wahrheiten“ bleibt das Evangelium eine „öffentliche Wahrheit“ 2. Gleichgültigkeit führt zu Orientierungslosigkeit. Um die Wahrheit muss gestritten werden dürfen, und dafür brauchen Theologen einen „postmodernen Anfragen gewachsenen Begriff theologischer Vernunft“ (52).
3. Postmodernen Positionen ist aufzuzeigen, dass sie nicht zugleich universale Wahrheitsansprüche grundsätzlich bestreiten und für sich selbst unbestreitbare Deutungshoheit beanspruchen können. 4. und 5. Die Theologie hat selbst begründungslogisch Verzicht zu leisten: Ihre Wahrheit kann sie nicht als verfügbare Theorie beschreiben, sondern sie muss stets von sich weg auf die außerhalb (allein in der Person Jesu Christi) liegende Wahrheit verweisen. 6. Die neue gesellschaftliche Situation einer Vielfalt von Sinnangeboten, in denen das Christliche eben nur noch eine Option unter anderen darstellt, soll nicht bekämpft, sondern aktiv genutzt werden. Das Evangelium wird sich selbst ausweisen! 7. Deshalb ist schließlich jede „Selbstbehauptung“ abzulehnen. Für diese demütige Form des Wahrheitszeugnisses ist Jesus Christus selbst als der stets auf den Vater Weisende das Vorbild. Diese grundlegenden Einsichten wer- den dann im Weiteren entfaltet und mit verschiedenen Anfragen und Vorschlägen im Bereich kirchlicher Praxis und theologischer Theoriebildung verbunden.
Kapitel 2. (62-103) benennt, nach einer neuerlichen Bestimmung der Postmoderne in philosophischer und soziologischer Hinsicht, „Chancen des Evangeliums in der Postmoderne“ und „für die Postmoderne“ So wird u. a. die philosophische „Verdachtshermeneutik“ für die Plausibilisierung des reformatorischen Menschenbildes (homo incurvatus in se ipsum) in Anspruch genommen; an Hand der soziologischen „Buntheit der Lebenswelt“ wird auf die Chancen einer ausdifferenzierten Gottesdienstpraxis (Zweit- und Drittgottesdienste, Zielgruppenveranstaltungen) hingewiesen (81).
Im dritten Kapitel (104-174) wird die durch die Postmoderne gestellte „ästhetische Herausforderung“ in den Blick genommen. Hier findet sich zunächst eine deutliche Kritik an der in die christliche Kirche eingedrungenen Erlebniskultur („Unfähigkeit zu verbindlichem Leben“, „Entertainment statt Lebenskorrektur“, „[e]gozentrischer Glaube“). Daraufhin wird die postmoderne Problematisierung der Subjektidentität thematisiert, die letztlich, so HEMPELMANN, zur Frage und Suche nach einer Erfahrung führt, die mehr ist als ein „Sich-Verlieren“ im Erlebnis (142). Eine solche ganzheitliche Erfahrung wird theologisch mit Hilfe der Trinitätslehre im Anschluss an MARTIN LUTHER entwickelt: Erfahrung mit dem Wort, Erfahrung mit der Kirche, Erfahrung mit der Schöpfung. Als Beispiel: In der Erfahrung mit dem Wort erfahrt der Mensch die Anrede durch Gott und wird so als Angeredeter zum „Ich“. Der Text der Schrift legt den Ausleger aus und konstituiert so dessen Identität. In allen Gedankengängen führt HEMPELMANN die eine Pointe aus: Das Subjekt darf, ja soll in theologischer Perspektive „schwach“ sein - und sich in der Erfahrung mit Gott seine Identität schenken lassen.
Kapitel 4 (175-218) greift die „ethische Herausforderung“ auf. In einem ersten Schritt wird das postmoderne säkulare Umfeld sondiert, in einem zweiten Schritt wird die Problematik theoretischer Begründungsstrategien für christliche Werte in diesem säkularen Umfeld umrissen. HEMPELMANN votiert schließlich dafür, durch eine gelebte christliche Ethik „Evidenzräume“ zu schaffen, als „Brief Christi“ in der Welt zu existieren.
Das Buch wird in den Kapiteln 5 bis 7 abgeschlossen durch Auseinandersetzungen mit MARTIN WALSERS Roman „Tod eines Kritikers“ (219-256), mit JAN ASSMANNS Monotheismus-Kritik „Die mosaische Unterscheidung“ (257-281) und mit JACQUES DERRIDAS Messianismus-Konzept. Die drei Kapitel sind offenbar als exemplarische Anwendung einer philosophisch informierten Theologie mit Vertretern der Postmoderne konzipiert. Sie zeigen allerdings auch, was der Leser von diesem Buch insgesamt (nicht) zu erwarten hat: Wer auf der Suche nach Gemeindeaufbaukonzepten im postmodernen gesellschaftlichen Umfeld ist, wird hier - von einigen Hinweisen in Kapitel 2 abgesehen - bestimmt nicht fündig. Das ist aber auch nicht das Anliegen des Verfassers, weshalb der Titel vielleicht ein wenig irreführend ist.
Worum es HEMPELMANN geht, ist ein engagiertes Sich-Einlassen auf die postmoderne Situation, und das heißt hier: Bereitschaft zur philosophischen Auseinandersetzung (209f). Diese Bereitschaft bringt HEMPELMANN selbst in bewundernswertem Maße auf: Die Menge der zitierten Literatur ist überwältigend. Zugleich erscheint einiges in den Ausführungen aber auch allzu knapp und bruchstückhaft, zwischen den Abschnitten vermisst man immer wieder den großen Bogen. Insgesamt schien mir Teil 1 der Reihe („Wir haben den Horizont weggewischt“) im Vergleich geschlossener und runder. Da einiges in den beiden Bänden deckungsgleich ist, würde ich bei Interesse eher eine Empfehlung für diesen ersten Band aussprechen.
Alexander Kupsch, ichthys 26 (2010), 126-128.
Aus:
Zusatzinformationen
- ISBN: 9783417294941
- Auflage: 2. Gesamtauflage (1. Auflage: 28.06.2006)
- Seitenzahl: 326 S.
- Maße: 13 x 20,6 x 1,8 cm
- Gewicht: 405g
- Sachgebiet: Theologie/Kirchengeschichte
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Wie die wahre Welt zur Fabel wurde, Band 4
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